piwik no script img

Die neue Sprache der Zensoren

Ein Höhepunkt in der Geschichte der Zensur  ■ Von Philip Knightley

Der Golfkrieg markiert einen neuen Wendepunkt in der Entwicklung der Zensur. Denn obwohl die Alliierten als Grund für die straffen Regeln, denen die Korrespondenten unterworfen wurden, natürlich die „militärische Sicherheit“ angegeben haben — das alte Alibi, seit die Briten 1856 die Militärzensur einführten —, wurden sie unter der Hand ausgeweitet. Den Alliierten geht es im Golfkrieg um sehr viel mehr, nämlich um ein totales Nachrichtenmanagement zu eigenen Gunsten.

Dieses Nachrichtenmanagement am Golf dient hauptsächlich drei Zielen: dem Feind Informationen vorzuenthalten, Unterstützung für den Krieg zu schaffen und zu erhalten, und schließlich die öffentliche Meinung über die Bedeutung des Krieges grundlegend zu verändern. Dieses letztgenannte Ziel ist das bei weitem wichtigste und ganz sicher auch bestürzendste.

Wie konnte es zu einer so alarmierenden Situation überhaupt kommen?

Nach der mißlungenen Attacke der Alliierten auf Sebastopol im Juni 1855 war die öffentliche Meinung aufgrund der Berichterstattung in der 'Times‘ vollkommen umgeschlagen. Der Kriegsberichterstatter William Howard Russel, ein Pionier der modernen Kriegsreportage, brachte mit seinen kritischen Artikeln von den Schlachtfeldern der Krim am Ende die Regierung zu Fall.

Prinz Albert nannte ihn „diesen elenden Skribenten“. Ein Abgeordneter war der Meinung, daß das Militär ihn lynchen solle — die Auffassung, daß das Verhalten der 'Times‘ und ihres Korrespondenten Russel an Landesverrat grenze, wurde von vielen Bürgern geteilt.

Alles das machte es schließlich dem neuen Oberkommandierenden Sir William Codrington leicht, die Regierung für eine stärkere Zügelung der Presse zu gewinnen.

Der Regierung hätte es durchaus gereicht, es für die Journalisten zu einer Ehrensache zu machen, über nichts zu schreiben, was einen Sieg fraglich machen könnte. Aber Codrington, dessen Achtung vor Journalisten gleich Null war, ging weiter. Am 25. Feburar 1856 erließ er eine Vorschrift, die als Ursprung der Militärzensur überhaupt gelten kann. Darin untersagte er die Publikation von allem, was nach Ansicht offizieller Stellen dem Feind nützen könnte.

Seitdem hat Großbritannien keinen größeren Krieg mehr geführt, in dem nicht eine mehr oder weniger strikte Zensur ausgeübt worden wäre. Und bereits vom Ersten Weltkrieg an wurde das Ziel der Regierung ausgeweitet auf den oben an zweiter Stelle genannten Punkt: Schaffung und Aufrechterhaltung der Kriegsunterstützung.

Zwischen 1914 und 1918 wurden nur sechs Korrespondenten vom Militär an der Front zugelassen. Man steckte sie in Uniformen, gab ihnen Ordonanzen zur Seite, rüstete sie mit Lastwagen und Autos aus und ließ sie von Führungsoffizieren und Zensoren begleiten. Die Zensoren lebten mit ihnen zusammen, man aß gemeinsam, und die Zensoren lasen sowohl die Berichte als auch die private Post der Korrespondenten durch.

Die Korrespondenten zogen Lose, die entschieden, wer von ihnen über einen bestimmten Angriff berichten durfte; diese Berichte teilte der Betreffende dann mit den Kollegen — eine frühe Form, wie man sieht, des modernen 'Pool‘-Arrangements. Jeder Bericht wurde zuerst dem Zensor gegeben, und was vor ihm bestanden hatte, wurde durch militärische Meldereiter zur Telefonstelle gebracht; von dort gelangten die Berichte direkt an das Kriegsministerium, das es dann durch Boten an die verschiedenen Zeitungen verteilen ließ.

Es ging darum, die Öffentlichkeit mit schönen Geschichten von Heldentum und Ruhm zu versorgen, damit die Kriegsbegeisterung anhielt; gleichzeitig sollten damit auch Fehler, die womöglich vom Oberkommando gemacht worden waren, zugedeckt und jegliche Kritik an der Kriegsführung eingedämmt werden, damit die Reputation der Generäle keinen Schaden litt.

Die Korrespondenten ließen sich alles gefallen. Einer von ihnen, Sir Philip Gibbs, schrieb 1923: „Wir identifizierten uns vollkommen mit den Männern im Feld... Keiner brauchte unsere Berichte zu zensieren. Wir zensierten uns selbst.“ Die 'Times‘ fand das vernünftig: „Sie empfanden als ihre Aufgabe, die Moral der Nation in Zeiten tödlicher Kämpfe zu stützen; deshalb rühmten sie Siege nicht mehr, als billig war; in heftigen Materialschlachten noch fanden sie positive Ansatzpunkte — und Niederlagen wurden von ihnen bedeutungslos gemacht, entschuldigt oder ignoriert.“

Die Wirkung dieser verzerrten Berichte war enorm. Der britische Durchschnittsbürger, jetzt Soldat, hatte immer schon akzeptiert, daß wahr sein mußte, was schwarz auf weiß in den Zeitungen stand. Im entscheidendsten Moment seines Lebens war er jetzt in der Lage zu überprüfen, ob die Presse schrieb, was er als seine Wahrheit kannte. Er merkte, daß die Presse log und er dahintergekommen war. Mit dem Resultat, daß das Vertrauen in die Zeitungen verlorenging — und bis heute nie wirklich mehr zurückgewonnen wurde.

1939 hatte die Regierung die Kriegskorrespondenten bereits akzeptiert als Teil der Streitkräfte — „integraler Bestandteil unserer militärischen Aktivitäten auf dem Lande, zu Wasser und in der Luft“. Wiederum ließen sich die Korrespondenten in der Regel die Zensur gefallen — was einigermaßen verständlich war, da es in diesem Krieg um das Überleben des Landes ging und ein verbrecherischer Feind nicht erst erfunden werden mußte.

Dennoch gab es auch hier bestürzende Folgen. Denn als die Zensur schließlich aufgehoben wurde, reagierten die Presseleute mit großer Verunsicherung. Einer sprach wohl für alle, als er sagte: „Aber an wen sollen wir uns denn jetzt wenden zur Kontrolle unserer Arbeit?“ Der Kanadier Charles Lynch faßte es so zusammen: „Wenn wir zurückblicken auf das, was wir damals geschrieben haben, dann ist das schon sehr peinlich. Wir waren nichts als Propagandisten unserer Regierungen. Anfangs wurde es von den Zensoren durchgesetzt, aber am Schluß waren wir selbst unsere besten Zensoren. Wir waren zu Claqueuren geworden.“

Der Vietnamkrieg brachte etwas Neues. In den Vereinigten Staaten hatte es mit der Zensur immer schon größere Probleme gegeben, da dort durch den ersten Artikel der Verfassung die Freiheit der Meinungsäußerung garantiert ist und Vorzensur — genannt „prior restraint“ — nur in Fällen nationalen Notstandes gerechtfertigt ist. Der Krieg in Vietnam war ein unerklärter Krieg, und auch deshalb konnte es keine offizielle Zensur geben. Korrespondenten konnten hinfahren, wohin sie wollten, und schreiben, was sie wollten. Das Militär versuchte lediglich, sie „auf die richtige Seite“ zu ziehen und gebrauchte seinen Einfluß in Washington dazu, die Zeitungsherausgeber und Sender direkt zu beeinflussen.

Aber sie hatten wenig Erfolg. Zunächst unterstützten die meisten Berichterstatter den Krieg. Als sie jedoch sahen, daß die Politik der Regierung nicht funktionierte, sagten sie es laut. Zusätzlich brachten deutliche Fernsehbilder den Amerikanern das wahre Gesicht des Krieges bis in die Wohnzimmer, seine blutige Brutalität und das Leiden der vietnamesischen Zivilbevölkerung. Die wachsende Zahl getöteter amerikanischer Soldaten tat dann das ihre dazu, daß die Kriegsunterstützung durch das amerikanische Volk dahinschwand und am Ende der Rückzug stand.

Diese Lehre sollte nicht umsonst gewesen sein. Am 13. Oktober 1970 diskutierte man auf einem Seminar der Royal-Service-Institution in London die Fernsehberichterstattung über den Vietnamkrieg. Der damalige Kommentator Robin Day — heute Sir Robin — erklärte den Anwesenden, daß der Krieg in den Farbfernsehern der amerikanischen Wohnstuben die Amerikaner stärker zum Antimilitarismus bewogen habe als alles andere. „Man fragt sich, ob eine Demokratie, die ungezügelte Fernsehberichterstattung in jedes Haus liefert, überhaupt noch jemals in der Lage sein wird, einen Krieg zu führen, egal, wie gerechtfertigt er auch sei.“

Und ein hoher Beamter des Verteidigungsministeriums, Brigadier F.J. Caldwell, gab zu bedenken, daß man, sollte Großbritannien jemals wieder Krieg führen, sich „sehr ernsthaft fragen muß, ob man die Schlacht am Ende durch Fernsehkameras verlieren dürfe“. Die Antwort war: nein.

Als der Falklandkrieg begann, hatte das Verteidigungsministerium seine Pläne, wie man die Nachrichten zu behandeln hatte, bereits fertig. Der entscheidende Faktor war, daß ausschließlich das Verteidigungsministerium bestimmte, wer Zugang zum Schlachtfeld haben sollte. Nicht ein einziger Journalist erhielt Zugang, der nicht vorher die militärische Vorzensur als Bedingung seiner Arbeit an der Front akzeptiert hätte. Und um den Korerspondenten eine Ahnung davon zu vermitteln, was man von ihnen erwartete, gab man ihnen eine kleine Broschüre. Dort stand, daß es ihre Aufgabe sei, „die öffentliche Meinung in Zeiten nationaler Bedrohung oder Krise anzuleiten und zu stärken“.

Die Militärs waren mit dem Nachrichtenmanagement in diesem Krieg außerdordentlich erfolgreich. Nachrichten, die ihnen gefährlich erschienen, wurden zensiert, unterdrückt und verzögert, schlechte Nachrichten nur tröpfchenweise freigegeben, so daß ihre Wirkung verpuffte; gleichzeitig stellten sie sich selbst als die einzig verläßliche Nachrichtenquelle dar. Die vom Militär unterdrückten Nachrichten zeigten, als sie am Ende des Krieges schließlich freigegeben wurden, den neuen Trend in der Militärzensur bereits an. All die „nicht erzählten Geschichten“, die das Ministerium während des Krieges nicht hatte durchgehenlassen, wurden jetzt gedruckt. Das Interessanteste an ihnen war, daß kaum einer dieser Artikel Informationen enthielt, die für die Argentinier von Wert gewesen wären. Ihr einziges Vergehen war, daß sie ein zu lebendiges Bild von dem wahren Gesicht des Kampfes zeichneten, in dem hochtrainierte Gruppen junger Männer sich gegenseitig Schreckliches antaten — auf diesen sonst so friedlichen kleinen Inseln im Südatlantik.

Als schließlich der Golfkrieg anfing, war eines der Ziele der Zensur ganz eindeutig und von Anfang an, die Öffentlicheit davon zu überzeugen, daß neue Technologien die Schrecken des Krieges überwunden hätten: betont wurde der „chirurgische“ Charakter der Luftangriffe; der Krebs würde herausgeschnitten werden und das gesunde Fleisch unberührt bleiben. Bomben fielen „mit extremer Zielgenauigkeit“ und „neutralisierten“ nur militärische Objekte, „zusätzliche Schäden“ — das heißt tote Zivilisten — würde es nicht oder nur sehr wenig geben. Man würde die Militärmaschine des Iraks von der Luft aus zerstören, so daß es vielleicht nicht einmal notwendig würde, Soldaten in den blutigen Nahkampf eines Landkrieges zu schicken.

Das Bild, das durch dieses Nachrichtenmanagement gezeichnet wurde, ist das eines Krieges fast ohne den Tod, eine gesäuberte Fassung von dem, was früher als Krieg galt. Es vergingen Wochen, bevor die ersten Toten im Fernsehen gezeigt wurden — und aus den entsprechenden Filmen schnitt man in britischen Studios die schrecklichsten Bilder heraus. Eine neue Sprache ist geboren, um die Realität des Krieges zu mildern. Militärische Ziele inmitten von Städten zu bombardieren, hieß jetzt, „dem Feind eine Infrastruktur verweigern“; Menschen wurden zu „weichen Zielen“, Massenbombardierung zum „Auslegen eines Teppichs“.

Dahinter stand der Gedanke, den Leuten weiszumachen, daß moderne Kampftechnik kaum noch Menschen braucht, nur noch Maschinen. Dies erklärt auch, warum bei den militärischen Pressekonferenzen der Schaden betont wurde, den „unsere“ Maschinen an „ihren“ Maschinen angerichtet haben, und warum die Offiziere alle Fragen abgewehrt haben, in denen nach Toten und Verwundeten gefragt wurde.

Der Golfkrieg ist schon jetzt zu einem wichtigen Krieg in der Geschichte der Zensur geworden. Er markiert den Versuch der Politiker und Militärs, die öffentliche Wahrnehmung über das Wesen des Krieges zu verändern, besonders aber zu verschleiern, daß Unbeteiligte in Kriegen sterben.

Man ist offenbar neuerdings — und bisher durchaus unbewiesen — der Meinung, daß die Öffentlichkeit einen Krieg, in dem durch die modernste Rüstungstechnik des Westens massenhaft Unbeteiligte ums Leben gebracht werden, nicht mehr unterstützt.

Ob diese neue Zensur von dem erhofften Erfolg gekrönt sein wird oder nicht, wird die Zukunft zeigen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen