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Im Kopf blitzgescheit

Georg Paulmichl auf dem Theater  ■ Von Arnd Wesemann

Gedichte auf der Bühne: Was läßt sich Besinnlicheres, poetisch Versunkeneres, betroffen-still Ergriffeneres denken, als im Theater zu sitzen und Gedichten zu lauschen. Kaum, daß man ausatmen dürfte, ohne mit dem Windhauch schon den Dichter im Innersten beleidigt zu haben — unerträglich!

Hanns Magnus Enzensbergers Untergang der Titanic, das im Untertitel eine Komödie heißt, halten viele, weil mehrfach inszeniert, für ein Theaterstück — es ist ein Gedicht. Mag sein, daß wir den herzlich unbekannten Georg Paulmichl eines Tages ebenso zum Dramatiker verwechseln: Denn das Theater hat ihn entdeckt — einen Dichter der „Littérature brute“, die ihre rohgeschliffenen Sätze auch an Schauspieler liefert. „Littérature brute“ ist nicht unähnlich der „Art brut“, wie sie von geisteskrank genannten Künstlern ermalt wird. Von Künstlern, die manisch oder akribisch oder sowohl als auch malen. Oder so schreiben. „Littérature brute“ ist psychiatrisierte Literatur, kein Gestammel, Gebrabbel, Geseufze (wie bei vielen Gesunden). Sondern eine Literatur der Exaktheit, eines Hirns hinter Mauern im fernen Vinschgau/Südtirol zwischen 3.000er-Gebirgswänden. Hier lebt Georg Paulmichl: in der Werkstatt einer Psychiatrie, in einem Kaff namens Prad, in einem mittelalterlichen Kuhstädtchen mit Ringmauer, mit Kasernen und, neben einem St. Benediktinerkirchlein mit karolingischen Fresken, Bunkern. Da ist Ruhe.

„Ich will immer Ruhe haben. Der Künstler braucht immer Ruhe. Ich möchte das ganze Leben in der Werkstatt bleiben“, schreibt Paulmichl als Conclusio seines 30jährigen Lebenslaufs. Doch der Lauf geht weiter: Der Südtiroler Haymon Verlag gab seine Dichtungen in die Öffentlichkeit: Die erhielt von ihm Kenntnis: jetzt auf dem Theater in Bochum (geplant auch in Wien und Zürich). Paulmichls Treffer-Gabe erinnert an die Gabe zur Stilblüte, wie Lehrer sie im Klassenzimmer aufsammeln. Etwa zum Schützenverein: „Aufgabe der Schützen ist es, ,Hab acht‘ zu stehen./ Ihre Freizeit verbringen sie bei einem gemütlichen Stutzen Bier./ Nachher sehen sie ihre Heimat doppelt.“ Paulmichl über den Fußball: „Vom Fußball bekommt man einen elementaren Geist./ Die Fußballfans brüllen, daß einem die Ohren zu Berge stehen./ Die Leute sollen lieber zuhorchen, wie die Spieler den Ball beheben.“ Paulmichl über die Feuerwehr: Sie „ist im Kopf blitzgescheit“ und darf „keinen Alkohol trinken, sonst kugeln sie in die Flammen hinein.“

Der Schauspieler Tilo Nest intoniert's verslos, auf den Inhalt bedacht, auf die Überraschung, die geölt aus den Sätzen saust — Literarische Stilblüten? Spitze Stilblüten! Komödiantisch spitz. Das macht sie theaterverdächtig. Tilo Nest auf der Bühne, mit dem Hang zum Spitzbübischen. Da prasselt aus 21 Gedichten Unverhofftes: Er singt: „Völker, hört die.../ Landesmusikkapellen Südtirols“ (ein Fraß für Komödianten). Da prasselt Wahrheit: „Manchmal haben die Leute solche Schmerzen, daß es ihnen wehtut“ (eine Kur für Komödianten, dies ohne das Gekicher des Publikums über die Bühne zu bringen). Die Literatur des Psychiatrisierten ist zum Lachen (nicht: zum Schießen). Sie ist kaum einfach zu inszenieren — und wäre es gar nicht, ginge es um Rücksicht auf Behinderung. Paulmichls angeordnetes Leben hinter Wänden muß man nicht mitdenken, um seine schroffen Stäze zu genießen: Es ist eine 70minütige Entdeckung für das Theater. Sein grammatisches Variete ein ansteckendes Erholen vom allgemeinen Gebrauch der Sprache. Nach dem Theater paulmichlen wir. Wir gehen zum gemütlichen Stutzen Bier. Danach sehen wir die Heimat doppelt.

Georg Paulmichl: Verkürzte Landschaft. Regie: Helena Waldmann. Mit Tilo Nest. Schauspielhaus Bochum. Premiere heute. Weitere Vorstellungen 2.,7., und 22. April.

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