'Bild‘ kämpft für sie: 27 OibEs enttarnt

■ 'Bild‘ veröffentlichte die Namen von 27 der mehr als tausend OibEs einer geheimen Liste/ Pressesprecherin der Berliner Justizverwaltung: Veröffentlichung hochproblematisch/ Ex-DDRler für Aufarbeitung

Berlin (taz) — Die Ankündigung war länger als der Aufmacher. Spektakulär hatte die 'Bild‘-Zeitung in einer Vorabmeldung angekündigt, in ihrer Ausgabe im Osten Deutschlands die Namen der „Offiziere im besonderen Einsatz“ (OibEs) des früheren Staatssicherheitsdienstes offenzulegen — doch wer gestern das Springerblatt aufschlug, sah sich enttäuscht. Unter dem Titel „Die 1.000 geheimsten Stasi-Spitzel“ berichtete das Blatt zwar, daß es im Besitz der entsprechenden Listen sei, aber nur 27 der OibEs wurden den Lesern mit Namen, Wohnort und Jahresgehalt preisgegeben. Der Text auf der Titelseite umfaßte ganze 14 Zeilen. Den regelmäßigen 'Bild‘-Lesern bleibt die Absichtserklärung als Trost, in den kommenden Ausgaben, weitere Namen nennen zu wollen.

Wie soll man mit dem Thema Stasi weiter verfahren? Auf die entsprechende Frage des Dortmunder Forsa-Institutes plädierten Mitte März 64 Prozent der ehemaligen DDR- BürgerInnen für eine „schonungslose Aufklärung“. Die Umfrage im Auftrag der in den Neuländern erscheinenden Wochenzeitung 'extra‘ ergab weiter, daß 79 Prozent aller Befragten dafür stimmen, „unbelastete Angehörige des MfS wie Normalbüger“ zu behandeln. Einen „belasteten“ Stasi-Mitarbeiter würden dagegen nur etwa jeder vierte in seinem Arbeitsbereich dulden. Gegen einen „unbelasteten“ Arbeitskollegen aus der „Firma“ sprach sich nur jeder zwölfte aus. Die Akzeptanz am Arbeitsplatz war auch den ehemaligen Offizieren im besonderen Einsatz wichtig. Im Gegensatz zu den Hauptamtlichen, die die Schreibtischstuben in den bekannten Dienststellen der Stasi besetzten, arbeiteten die OibEs unerkannt für das Spitzelministerium in Kombinaten, bei der Polizei, der Nationalen Volksarmee oder in den Universitäten. Offiziell waren sie normale Angestellte, die auch nach der Wende noch monatelang an ihren alten Arbeitsplätzen verblieben. Mit der Auflösung der Stasi war lediglich ihr Unterstellungsverhältnis zum MfS beendet. Ihre früheren Aufgaben beschrieb der staatliche Nachlaßverwalter des MfS Mitte letzten Jahres in einem verquasten Bericht an die Regierungskommission zur Stasi-Auflösung: „OibEs sind offizielle Angehörige des MfS, die [...] zur umfassenden Gewährleistung der staatlichen Sicherheit unter Legendierung in sicherheitspolitisch bedeutsamen Positionen, im Staatsapparat, der Volkswirtschaft oder in anderen gesellschaftlichen Bereichen [...] eingesetzt waren.“ Neben der Koordinierung und Abstimmung von Maßnahmen mit dem MfS war ihre Aufgabe die „Erarbeitung sicherheitspolitisch bedeutsamer Informationen über Bereiche, Prozesse, Personen und Personenkreise. Prominentester der zwei- bis dreitausend OibEs war der ehemalige Chefdevisenbeschaffer der DDR: MfS-Oberst Alexander Schalck-Golodkowski, Leiter des DDR-Außenhandelsbereiches „Komerzielle Koordination“.

Enttarnt wurden die ersten OibEs Ende Frühjahr 1989. Mitarbeiter der Bürgerkomitees fanden die ehemals streng geheime Dienstanweisung für den Einsatz der „Besonderen“. Anhand der dort niedergelegten Besoldungsregelungen konnten sie in mühevoller Kleinarbeit die OibEs enttarnen. In der sogenannten „OibE- Ordnung“ war festgelegt, daß den Geheimen ihr „Zivilgehalt“ auf den Sold als Offizier angerechnet wurde. Die so Gefundenen mußten zwar auf Druck der Bürgerkomitees entlassen werden, ihre Offenbarung wurde aber von einzelnen Bürgerkomiteelern über den Stasi-Sonderausschuß der Volkskammer bis hin zu Diestels Ministerium entschieden abgelehnt. Um „schwere innenpolitische Auseinandersetzungen“ zu vermeiden, hieß es z.B. in einer Erklärung des Volkskammer-Ausschusses, „ist es unumgänglich, OibE wie IM [Inoffizielle Mitarbeiter, d. Red.] zu behandeln und eine Offenlegung unter allen Umständen zu verhindern“.

Nachdem in Ost-Berlin die den Bürgerbewegungen nahestehende Wochenzeitung 'die andere‘ Mitte letzter Woche begann, die Namen der obersten Stasi-Funktionäre zu veröffentlichen, wird wieder darum gestritten, wie mit dem Stasi-Erbe umzugehen ist. Der Ostberliner 'Morgen‘, der wie die 'Bild‘ zum Springer-Konzern gehört, warf den Redakteuren der 'anderen‘ vor, auf das „altbekannte Schwert der Kollektivschuld“ zurückzugreifen und die Frage nach der individuellen Schuld der einzelnen Stasi-Mitarbeiter nicht berücksichtigt zu haben. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Thierse nannte die Veröffentlichung „nicht schlecht“. Auch die Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe nannte die Namensnennungen richtig. Die Berliner Justizsenatorin Jutta Burghart sah die Gefahr, daß „jeder gegen jeden vorgeht“ und daß manche eine Art Selbstjustiz üben könnten. Die Veröffentlichung der OibEs sei noch problematischer als die der hauptamtlichen Mitarbeiter des MfS. Denn diese Offiziere hätten einen „noch schlechteren Ruf“. Die überwiegende Mehrheit der BürgerInnen will die Stasi-Vergangenheit aufgearbeitet sehen. Nur 24 Prozent wollen nach der Forsa-Studie einen „Schlußstrich ziehen“.

Die Veröffentlichung von Namen ehemaliger Stasi-Offiziere verstößt nach Ansicht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz, Alfred Einwag, gegen die Bestimmungen des Einigungsvertrages. Er kritisierte den Abdruck der Listen, machte jedoch deutlich, daß aus datenschutzrechtlichen Gründen kein Verstoß vorliege. Die Veröffentlichung verstoße „nicht unmittelbar gegen das Datenschutzgesetz“. Wolfgang Gast