Wenig Interesse an „Demokratie von unten“

Erste Kommunalwahlen in Südkorea seit 30 Jahren/ Nach dem jüngsten Bestechungsskandal ist die Bevölkerung frustriert von leeren Versprechungen und Korruptheit der Politiker/ Intrigen, Bestechungen und Drohungen unter den Kandidaten  ■ Aus Seoul Peter Lessmann

„Diese Wahlen machen überhaupt keinen Sinn — die Politiker haben doch nur ihre eigenen Interessen im Kopf“, redet sich eine 25jährige Frau in Rage. Dabei sollte der gestrige Urnengang in den kleinen Städten und Gemeinden Südkoreas eigentlich Geschichte schreiben. Die ersten Lokalwahlen seit dreißig Jahren, Autonomie und Selbständigkeit der Provinzen, kurz: „Demokratie von unten“, so geben Südkoreas Politiker vor, das sei ein weiterer Schritt auf dem Wege zur Demokratisierung der Gesellschaft.

Aber in einem Land, in dem bis vor kurzem noch die Militärs das Sagen hatten und Politiker an den Schalthebeln der Macht zuerst an den eigenen Geldbeutel denken, kennzeichnete nicht Euphorie, sondern Mißtrauen und Apathie die Wahlstimmung. So gingen nach Angaben des Wahlausschusses auch nur 51,7 Prozent der WählerInnen zur Abstimmung. Die SüdkoreanerInnen, so scheint es, sind derzeit frustriert über die leeren Versprechungen der PolitikerInnen und deren Korruptheit. Da ist der bisher größte Bestechungsskandal, in den hohe Regierungsbeamte und Politiker verwickelt sind. Der Hanbo-Konzern, jetzt vor dem Ruin stehend, hatte hoch gepokert und für ein lukratives Baugeschäft im Seouler Grüngürtel die Staatsbürokratie geschmiert.

Mit den erst vor drei Wochen von Staatschef Roh Tae Woo ausgerufenen Lokalwahlen wolle die Seouler Führung doch nur von der Affäre ablenken, heißt es in Dissidentenkreisen. Berichte über Intrigen, Bestechungen und Drohungen unter den knapp 10.000 Wahlkandidaten sorgen für weiteres Mißtrauen. So hatte ein Bewerber aus der regierenden „Demokratisch-Liberalen Partei“ (DLP) mit 300.000 Mark seinen Gegenkandidaten zur Aufgabe „bewegen“ können. Dies sei, so Spekulationen, wohl nicht der einzige Fall.

Rund 4.000 Mark mußte nämlich jeder Wahlbewerber für die Kandidatur hinblättern. Fast 180 Aspiranten zogen ihre Bewerbung vorzeitig zurück, einige unter „mysteriösen Umständen“, wie sich der Wahlausschuß vorsichtig ausdrückte. Kandidaten für die Kommunalwahlen können zwar Mitglieder von Parteien sein — fast 70 Prozent aller Bewerber gehören der DLP an bzw. stehen ihr nahe. Aber die Parteien selbst sind von den Wahlen ausgeschlossen. Zwar betonte Staatschef Roh immer wieder, die Parteien hätten sich rauszuhalten. Doch dann inszenierte die Regierung live übertragene Fernsehdiskussionen über ihre neuen Entwicklungs- und Wohlfahrtspläne. Selbst der Geheimdienst soll sich aktiv in den Wahlkampf eingemischt haben, und die Oppositionspartei rief: Heuchelei!

„Die Regierung führt die Abstimmung nur halbherzig durch und will sie im Grunde genommen gar nicht“, meint Professor Cho Chang Hyun von der Hanyang-Universität. Denn mit der Einführung der lokalen Autonomie würde der Zentralregierung Macht und Einfluß genommen. „Mit viel Propaganda haben die Seouler Machthaber dagegen in der Vergangenheit die Südkoreaner zu strammen Antikommunisten erzogen; auch gute Geschäftsleute haben sie aus ihnen gemacht, aber für die Lokalwahlen und eine politisch-demokratische Erziehung wurde überhaupt nichts unternommen“, schimpft er. Dennoch seien die Wahlen für die Demokratisierung des Landes ein wichtiger Schritt. Auch wenn es noch lange dauern werde, bis die Selbstverwaltung in den Kommunen wirklich funktioniere. Dabei setzt der in den USA ausgebildete Fachmann auch auf deutsche Expertisen. Seit gut vier Jahren nämlich arbeitet sein „Zentrum für Lokale Autonomie“ mit der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung zusammen. Südkoreanische Politiker reisten in den vergangenen Jahren in die BRD, um sich ein Bild vom deutschen Kommunalverwaltungssystem zu machen. Auf Seminaren sollen Mitglieder der Gemeindeparlamente für ihre kommunalen Aufgaben geschult werden. Südkoreas Regierung, meint Manfred Ziemek von der Naumann-Stiftung, werde trotz lokaler Autonomie auch in Zukunft Einfluß auf die Parlamente in Provinzen und Gemeinden ausüben, denn dies lasse schließlich das Gesetz zu.

Die kommunale Selbstverwaltung hatte Präsident Roh schon vor mehr als drei Jahren seinen Landsleuten versprochen. Doch ob dem Land mit den Wahlen automatisch auch „grass roots democracy“ gebracht wird, ist mehr als zweifelhaft. Da müßten sich vor allem erst einmal die Parteien demokratisieren. „Unser Problem ist zuwenig Demokratie, besonders auf seiten der egoistischen Politiker“, schreibt Ahn Young Sop, Kommentator des liberalen 'Korea Daily‘.

Unter den vielen finanzkräftigen Kandidaten, die sich gestern zur Wahl stellten, ist Lee Soo Un vielleicht eine Ausnahme. „Ich will einen letzten Dienst für Menschen in Not leisten“, sagt er. Der 81jährige aus der Hafenstadt Pusan ist der älteste unter allen Kandidaten und arbeitet seit Jahren in seinem Stadtbezirk in einer Freiwilligengruppe für Unterprivilegierte. Lee war schon einmal Gemeindeabgeordneter. Doch das ist lange her. 1961 setzte nämlich Diktator Park Chung Hee mit seinem Militärputsch der beginnenden Autonomie in Südkorea ein jähes Ende.