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Im historischen Bus durch Berlin

■ Das Gefährt paßt sich der Staugeschwindigkeit sehr gut an, doch das Wetter tritt in Osterstreik

Berlin. Gründonnerstag, morgens um elf Uhr. Es ist — vor allem — kalt. Etwas mutlos ruft ein Fahrer eine Stadttour aus: »Anderthalb Stunden Rundfahrt mit dem historischen Zille-Bus! Fahren Sie mit über Potsdamer Platz, Platz der Akademie, Nikolaiviertel, Alexanderplatz, Unter den Linden und vorbei am Brandenburger Tor!«. Er traut sich nicht ganz, den Passanten dieses kalte Vergnügen anzupreisen — sieht er doch zwischendurch ein paar Schneeflocken vorbeitreiben. Zu Beginn der Saison scheint er noch nicht ganz aufgewärmt, um die lockeren Sprüche zu bringen, die der Verantwortliche für die Stadttouren der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), Hans Peter Neuß, so lobt. Schließlich hat er unter der Woche kaum Probleme, den 29er oder andere Busse zu füllen. So finden sich neben einigen Reportern lediglich fünf Fahrgäste, die sich mitzufahren trauen.

Zwei auffällige Busse stehen am Breitscheidplatz vor der Gedächtniskirche. Es sind die historischen »Zille-Busse«, die zwischen 1913 und 1924 in Berlin verkehrten. Insgesamt ist so ein Bus relativ klein: Oben das offene Verdeck mit einfachen Holzbänken, unten Polstersitze, die Omas Sofa gleichen, hinten die kleine Plattform, bei der man nur darauf wartet, daß Charlie Chaplin auftaucht und aufzuspringen versucht. Um »historisch« zu sein, ist er außen und innen zu strahlend weiß.

Die BVG bietet seit drei Jahren im Sommerhalbjahr Rundfahrten mit diesen Bussen an. Am Gründonnerstag wurde die Saison für die »Zille- Busse« eröffnet. Gab es erst nur die »Nostalgie-Tour«, die an den Westberliner Schlössern und Kulturdenkmälern vorbeiführt, wurde vor einem Jahr auch die größtenteils durch Ost-Berlin führende »Zille-Tour« eingeführt. Das Milieu des Malers Heinrich Zille berührt sie allerdings nicht, sie wurde vorerst nach dem Namen der Busse benannt.

Gemächlich zockelt der Bus durch Berlin. Er darf nicht schneller als 25 Stundenkilometer fahren. Der Fahrer ist am ärmsten dran: Er muß die ganze Zeit dem Fahrtwind trotzen. Dafür hat er auch eine sehr schöne, originalgetreue Uniform an. Von der Mütze bis zu den Gamaschen ganz in Leder. Auch eine kleine Nummer in Bronze ist an der Mütze angebracht. Der Schaffner hingegen darf nur Stoff tragen, hat aber dafür einen kleinen Zille-Bus am Revers und ein ledernes Schaffnertäschchen. Er steht anfangs auch noch wacker draußen auf der Plattform, beschließt aber nach der ersten Brücke, hineinzukommen. Bei Brücken muß er kontrollieren, ob oben auch alle sitzen. Für Stehen folgt die Strafe auf den Kopf.

»Nicht ausspucken« steht an einer Leiste neben dem obligatorischen »Nichtraucher«-Hinweis. »Dieses Schild gab es auch in den Original- Bussen. Da wir es ganz lustig fanden, haben wir es Übernommen«, erklärt Neuß. Einen Bus aus den goldenen Zwanzigern gibt es noch, doch er fährt nicht mehr. Er steht auf dem Betriebshof in Britz. Aktiv in Betrieb sind drei Modelle, zwei für die Touren, eines kann gemietet werden. Zwei Modelle wurden für die 750-Jahr-Feier nachgebaut, das dritte ist schon 15 Jahre alt.

Inzwischen ist der Bus ein Stück hinter dem Potsdamer Platz angekommen. Neuß erläutert gerade sein Konzept: Den Fahrgästen wird nicht erklärt, was sie sehen. Dies soll ein Prospekt besorgen: »Wir machen keine Stadtrundfahrten, sondern Rundfahrten an die historischen Plätze Berlins. Sie sind eher als Denkanstöße gedacht.« Soeben erzählt er, daß man auch überlegt habe, Lautsprecher einzubauen, »aber nur über meine Leiche«, da platzt ein Fahrgast heraus: »Entschuldigung, kann uns mal jemand erklären, wo wir da sind? Wir verstehen überhaupt nichts mehr.« Von da an übernimmt Neuß selbst die Rolle des Fremdenführers. Er entschuldigt sich, daß die ausführlichen Prospekte zur »Zille-Tour« leider erst nächste Woche fertig seien.

Als der Bus wieder an der Gedächtniskirche ankommt, läuten die Glocken laut. Den fünf Fahrgästen — sie sind alle als Touristen in Berlin und entdeckten die Bus-Tour per Zufall — hat es im Großen und Ganzen gefallen, doch vermißten sie meist ein wenig ausführlichere Erklärungen. Laut Neuß waren in den letzten Jahren die Hälfte der Teilnehmer Berliner. Letztes Jahr fuhr eine 84jährige Berlinerin 32 mal mit. Sie hatte schon damals, in den zwanziger Jahren, den originalen Omnibus benützt. Stolz erzählt Hans Peter Neuß, daß die Zille-Busse letztes Jahr 47.000 Mark Plus eingefahren haben, »was ja bei der BVG nicht gerade üblich ist«. Anna Hanke

Beide Touren finden im April an Wochenenden und Feiertagen statt. Ab 1.Mai rollen die Zille-Busse täglich. Die »Zille-Tour« kostet 22 (Kinder bis 14 Jahre 11) Mark. Abfahrt ist um 11.15/ 13.15/ 15.15 Uhr am Breitscheidplatz. Die »Tour Nostalgie« (durch West-Berlin) kostet 16 (bis 14 Jahre 8) Mark. Abfahrt ist um 11.00/ 12.30/ 14.00/ 16.30/ 17.00 Uhr.

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