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Wohin gehört Berlin?

Westdeutschland vollenden, Hauptstadtdebatte beenden! So das schwammige Fazit bisheriger Kommentare zur zukünftigen Funktion der Ex-Übermächte-Stadt. Die Unfähigkeit sich auf eine Hauptstadt zu einigen, wird uns bald als neodeutsche Fortsetzung des Kalten Krieges peinigen. Schon ist die „politische Klasse in der Krise“ ('Tagesspiegel‘ vom 22.3.91).

Die grenzenlose Zweistaatlichkeit ermöglicht die Abwicklung des exotischen Ex-Ostens in ein Zeitstaat-Stadium. Da beugt nur noch der Grundsatz: „Rückgabe und Entschädigung“ vor.

Bei „Rückgabe vor Entschädigung“ könnte allein die Rückgabe der Hauptstadtfunktionen nach Berlin Bedeutung haben, denn die vermögenden West-Bürger sind bereits historisch üppig entschädigt worden. Sie betrachten die Westbindung des Kanzlers der Alliierten wirtschaftlich wie politisch bestätigt. Die „Wende“ der Ostdeutschen hat sie in die Pose des Siegers gehoben, sie sogar zum Mitsieger des Zweiten Weltkrieges verwandelt. Letztlich konnte auch noch der Kommunismus unter Mithilfe westdeutscher Politik und Wirtschaft zugrundegerüstet werden!

Für die Bonn-Befürworter ist die Hauptstadtfrage scheinbar mit dem Zusammenbruch des Kommunismus hinfällig geworden. So könnte Wolfgang Ullmanns Hinweis, was eine Entscheidung für Bonn bedeute: „Berlin als Hauptstadt der DDR posthum zu rechtfertigen“ auch geradewegs in die Kette dümmlicher Gegenargumente eingereiht werden: Berlin — Hauptstadt des preußischen Militarismus, des Nazi-Terrors, des SED-Regimes und so weiter. Hier ähneln sich die Ängste der Geschichtsverdränger in den Anpassungsriegen der deutschen Nachkriegsparteien. Teilen um sich nicht teilen zu lassen, hätte Opfer verlangt, 1948 wie 1990. Damals hatten die Deutschen sich etwas Soziales für die Zukunft versprochen, nur nicht ihre nationale Teilung oder Krieg von deutschem Boden aus. Beides wurde fahrlässig hingenommen. So auch die Folgen billigend, wenn wie 1990/91 ein gerechter Krieg mitfinanziert wurde, als Dank an die Freunde für die Wiedervereinigung.

Die enormen Erhöhungen des Lebensstandarts werden die Arbeitslosen im ehemals sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat am 17.Juni vor die Frage stellen: „Feiern oder Feuern?“ Bis dahin muß die Hauptstadtfrage gelöst sein, sonst wird Berlin zentraler Ausgangspunkt sozialer Unruhen und zu einer erneuten Bestätigung seiner Selbstdiskreditierung als deutsche Metropole. [...]

Ob die Straßen Leipzigs oder Essens nach Bonn oder Berlin führen, wird sich bald erweisen. Bisher scheiterten alle sauberen Wege am Berliner Schmutz- und Schutzwall.

Neue, nicht provisorisch aufgeschichtelte Prüfsteine werden verlangt, echte Barrieren, die man notfalls stürmen kann. Auch die perfekteste Grenze der Welt widerstand nicht dem Bonner Geld. Aber die Ostdeutschen wollten nicht einfach den besseren Schein eingemünzt haben, sondern harte Leistung gegen harte Währung. Immer noch allzu bescheiden, verschweigen sie die Bonner Bringeschuld — statt dessen Abwicklung.

Das Berliner Pflaster besteht aus vielen Mosaiken — alles Prüfsteine zur real tolerierbaren Demokratie. Daher die Angst vor Berlin, einer Stadt, die sich schon längst behauptet hat. Ed Shah, (West)Berlin

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