RAF fand neues Opfer im Chef der Treuhand

■ Am Montag abend wurde in seinem Düsseldorfer Haus Treuhand-Chef Detlev Rohwedder erschossen. Wenige Stunden später bekannte sich das RAF-"Kommando Ulrich Wessel" zum Anschlag...

RAF fand neues Opfer im Chef der Treuhand Am Montag abend wurde in seinem Düsseldorfer Haus Treuhand-Chef Detlev Rohwedder erschossen. Wenige Stunden später bekannte sich das RAF-„Kommando Ulrich Wessel“ zum Anschlag. Für viele Ostdeutsche war Rohwedder die personifizierte Treuhand, aber kaltblütiger Mord sei für sie kein Mittel, die Probleme in den neuen Ländern zu lösen.

Die Spekulationen um die Mörder des Chefs der Berliner Treuhandanstalt fanden gestern Mittag ein schnelles Ende. In einer Kleingartenanlage gegenüber der Villa von Detlev Karsten Rohwedder im Düsseldorfer Stadtteil Oberkassel wurde etwa zwölf Stunden nach dem tödlichen Attentat ein Bekennerschreiben gefunden. Darin übernahm ein „Kommando Ulrich Wessel“ der „Rote Armee Fraktion“ (RAF) die Verantwortung für den Mord. Obwohl die kriminaltechnischen Untersuchungen am Tatort gestern nicht abgeschlossen waren, gingen die Beamten des Bundeskriminalamtes davon aus, daß der 58jährige Jurist in der Nacht auf Dienstag im Arbeitszimmer seines Hauses erschossen wurde. Die Ehefrau Rohwedders wurde bei dem Attentat verletzt.

Der Treuhand-Chef hielt sich zur Tatzeit gegen 23.30 Uhr im ersten Stock auf. Aller Voraussicht nach müssen der oder die Täter mit einem Gewehr von einem gegenüberliegenden Gartengelände durch die ungesicherte Fensterscheibe geschossen haben. Nach den Angaben der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe wurden in der Kleingartenkolonie auch ein im Freien stehender Stuhl und ein Fernglas sichergestellt. Frau Rohwedder konnte die Polizei noch selber alarmieren, die anschließend sofort eine Ringfahndung auslöste. Das Gelände wurde weiträumig abgeriegelt und stundenlang durchsucht. Die Fahndung ergab nach Darstellung der Düsseldorfer Polizei aber bisher keine weiteren Hinweise auf die vermuteten Täter. Mehrstündige Autokontrollen auf den Düsseldorfer Rheinbrücken sorgten bis in die frühen Morgenstunden für kilometerlange Stauungen. Die Bundesanwaltschaft erklärte weiter, ihr hätten keine konkreten Hinweise auf geplante RAF-Anschläge vorgelegen.

Das Bekennerschreiben umfaßt nur wenige Zeilen. Unter anderem heißt es: „Wer nicht kämpft, stirbt auf Raten. Gegen den Sprung der imperialistischen Bestien, unseren Sprung im Aufbau der revolutionären Gegenmacht.“ Auch bei dem letzten, mißglückten Sprengstoffanschlag auf den Bonner Staatssekretär Hans Neusel hatte die RAF am Tatort nur eine kurzgefaßte Selbstbezichtigung hinterlassen. Ein ausführliches Schreiben folgte wenige Tage später. Unterzeichnet ist die Erklärung mit einem fünfzackigen RAF-Stern und einer Maschinenpistole. Ullrich Wessel, nach dem sich das RAF- Kommando benannte, war einer der RAF-Mitglieder, die 1975 mit einer Besetzung der deutschen Botschaft in Stockholm die Freipressung von inhaftierten Gesinnungsgenossen erreichen wollte. Bei der Erstürmung der Botschaft wurde Wessel getötet.

Auch die Karlsruher Behörde schätze das Bekennerschreiben als „Vorabmeldung“ ein, der in den nächsten Tagen ein ausführlicheres Bekennerschreiben folge.

Seit Monaten wurde in den Sicherheitsbehörden damit gerechnet, daß ein möglicher Anschlag sich insbesondere gegen führende Wirtschaftsmanager richten könnte, die auf dem Gebiet der alten DDR die realsozialistische Hinterlassenschaft abwickeln. Trotzdem war der Chef der Berliner Treuhandanstalt nicht in die oberste von insgesamt drei Sicherheitskategorien eingestuft worden. Rohwedder hatte keinen ständigen Begleitschutz, nach Angaben des Düsseldorfer Polizeipräsidiums erhielt er nur bei besonderen Anlässen Personenschutz. Sein Haus stand dagegen unter Objektschutz, das heißt, es fuhren Streifenwagen der Düsseldorfer Polizei in unregelmäßigen Abständen am Haus vorbei und überprüften die nähere Umgebung. Ein Sprecher der Treuhand sagte, Rohwedder sei nur in Berlin in einem gepanzerten Dienstwagen gefahren. Aus Gründen der Sicherheit könne er keine näheren Erklärungen abgeben.

Etwa eineinhalb Stunden nach der Tat war bei der französichen Agentur 'afp‘ ein Anruf eingegangen, in dem ein Unbekannter „im Auftrag der RAF“ erklärte, es sei „in der Nacht in Düsseldorf jemand umgebracht worden“. Bevor gestern Mittag das Bekennerschreiben entdeckt wurde, herrschten Zweifel an der Urheberschaft der RAF. Nicht wenige vermuteten hinter den Attentätern frühere Mitarbeiter des DDR-Staatssicherheitsdienstes. Auch der Hamburger Verfassungsschutz-Chef Christian Lochte schloß in einer ersten Stellungnahme nicht aus, „es könnte im Grunde genommen eine richtige Stasi-Geschichte sein“. Die von außen in das Arbeitszimmer Rohwedders abgefeuerten Schüsse sowie die Tatsache, daß die Ehefrau des Spitzenmanagers verletzt wurde, sei für westdeutsche Terroristen „untypisch“.

Bei einer 'dpa'-Blitzumfrage in Berlin machten spontan etliche Passanten ehemalige Stasi-Mitarbeiter für den Tod des Treuhand-Chefs verantwortlich: „Der Mord ist sicherlich ein gemeiner Racheakt der Staatsicherheit“, glaubte beipielsweise ein Bewohner aus Hohenschönhausen. Die Stasi wolle damit möglicherweise die Arbeit der Treuhand behindern oder „wichtige Erkenntnisse“ vertuschen.

Die Bundesregierung hat den Anschlag auf Rohwedder als eine „schreckliche und unbegreifliche Untat“ verurteilt. Bundeskanzler Kohl, der sofort unterrichtet wurde, drückte seine tiefe Erschütterung aus. Bundesfinanzminister Waigel berief gestern mit den zuständigen Beamten eine Sondersitzung über die weitere Arbeit der Treuhand ein, die keinen Stillstand erfahren dürfe.

Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) reagierte „mit tiefer Verbitterung“. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk erklärte er, es sei sicher so, das die Kritik an der Berliner Treuhandanstalt für die Tat herhalten müsse: „Hier sind die Täter eiskalt dabei, sich zu sagen, die Treuhand wird hier ständig beschimpft, der wird vorgeworfen, das Beil des Kapitalismus zu sein, um hier im Osten alles plattzuschlagen.“ Deshalb müsse dringend Aufklärung über die Arbeit der Treuhand geleistet werden. Rohwedder sei einer von denen aus den alten Bundesländern gewesen, „die sich seit vielen Jahren immer wieder für die Verhältnisse hier interessiert haben.“ Das Attentat sei „fast so etwas wie eine letzte Verwarnung für uns alle. Es muß jetzt aufhören, sich gegenseitig Schuld zuzuweisen. Politische Schaukämpfe, Schuldzuweisungen und das Aufbauen von Buhmännern lösen keine Probleme.“

Für die Mitarbeiter der Treuhand war die Nachricht von der Ermordung ihres Chefs ein großer Schock. Während der Vorstand zu einer Krisensitzung zusammentraf, konnten die Angestellten in der Empfangshalle des Treuhandhauses in der Nähe des Berliner Alexanderplatzes nur mühsam ihre Empfindungen ausdrücken. Nach ihrer Ansicht sollte mit Rohwedder eine Symbolfigur für die Arbeit der Treuhand getroffen werden. „Er war die personifizierte Treuhand“, sagte ein Beschäftigter. Das Attentat stehe offenbar in einem Zusammenhang mit der schwierigen wirtschaftlichen Situation in Ostdeutschland, für die die Treuhandanstalt mitverantwortlich gemacht werde. Wolfgang Gast