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Römische Muster im Nahostgewebe

Die Sicherheitsoptionen der Nord- und Südstaaten Europas klaffen immer weiter auseinander/ Italien als „Mittelmeerpolizist“  ■ Aus Rom Werner Raith

Wenn Personen Symbole für Situationen sein könnten, vermutet der konservative 'Il Giornale‘ aus Mailand, „dann ist unser Verteidigungsminister geradezu ideal“: Tatsächlich hat es in den letzten dreißig Jahren kaum einen unauffälligeren, mitunter geradezu verlegen wirkenden Wehrminister in Italien gegeben als Virginio Rognoni. Völlig anders als seine Vorgänger scheint Rognoni die Italiener vergessen lassen zu wollen, daß sie eine noch immer kaum abgerüstete Armee aus den Tagen des Kalten Krieges besitzen, daß die heimische Waffenindustrie zu den florierendsten Europas gehört und trotz tausenderlei Embargos noch immer ihre Vernichtungsmittel an potente Abnehmer zu überstellen weiß.

Hereinzufallen pflegen auf derlei Maschen freilich weniger die Italiener selbst — die kennen ihre Kriegsherren zu gut — als vielmehr das Ausland und dessen Politiker. So vermeint man in Nato- und EG-Diplomatenkreisen inzwischen zu wissen, daß das Land auf absehbare Zeit keine Rolle im Nachkriegspoker mehr spielen wird. Beweis: Die US- Amerikaner hatten die Leute vom Stiefel trotz ihres Tornado- und Kriegsschiffeinsatzes nach dem Krieg ostentativ vor der Türe stehen lassen.

Daß sie sich nur nicht täuschen. Seit jeher ist Italiens Politik immer dann besonders gefährlich, wenn man so überhaupt nichts von ihr hört. Wirtschaftsmanager und auch Diplomaten wissen ein Lied zu singen, wenn sie zum Beispiel auf neuen Märkten wie etwa den Ostblockstaaten oder in Südamerika und Zentralafrika Fuß fassen wollten, und die Italiener waren längst schon da. Tatsächlich sind auch diesmal die Fädenspinner des Außen- und des Verteidigungsministeriums bereits viel weiter im Wirken neuer Nahostgewebe, als es sich die meisten anderen Staaten träumen lassen. Die Absage der an sich für vergangene Woche geplanten Mittelmeer-KSZE-Konferenz in Palermo war nur vordergründig den Außer-Haus-Terminen der Italiener geschuldet. Sie wäre den meisten je zu früh gekommen: den Italienern, weil sie in den nächsten Wochen noch manchen verdeckten Coup zu landen gedenken, den anderen, weil ihnen allmählich dämmert, daß da neue Nachkriegsoptionen gesetzt werden, die ganz und gar nicht in den bisherigen offiziellen Europarahmen passen.

Seit Jahren haben die Italiener auf eine eigene Sicherheitspolitik des Mittelmeerraumes gesetzt, mit einem starken Zentrum im Süden Europas als Gegengewicht zur Triade Bonn-Paris-London. Die deutsche Wiedervereinigung und dann der Golfkrieg haben die Fortschritte in dieser Konstruktion vorübergehend gebremst, aber keineswegs außer Kraft gesetzt.

So klopften die Italiener bereits eine Reihe von bilateralen Kontakten fest, die ihnen bei künftigen Verhandlungen Mehrheiten sichern werden: Sozialistenchef Craxi hat sich mit Hilfe seines UNO-Mandats für die armen Völker das Exklusivrecht für alle Libanonfragen verschafft, Libyens Ghaddafi tritt in halbstundenlangen Interviews im christdemokratisch bestimmten RAI-TV- Kanal auf, der Iran empfängt Außenminister De Michelis als den privilegierten Verhandlungspartner Europas. Mit gewisser Süffisanz streuen De Michelis' Mitarbeiter, die Not zur Tugend machend, daß „die Zurücksetzung durch die Kriegsgewinnler jenseits des Ozeans auch ihr Gutes hat: Niemand ist derzeit vertrauenswürdiger als wir bei den Staaten des Maghreb und den Golfanrainern.“ Besondere Genugtuung: die Hilfe, um die Frankreichs Diplomatie derzeit die Italiener immer öfter angehen muß, nachdem die überklotzige Teilhabe der Mitterand-Armee am Golfkrieg das Image des westeuropäischen Führungslandes auch bei eher moderaten Arabern erheblich angekratzt hat.

So werkeln denn Rognoni leise und De Michelis etwas lauter mit aller Intensität an ihrem Projekt, das bereits eine Stufe weiter reicht, als nur bis zur vorher schon geplanten Verschiebung des EG-Zentrums nach Süden. Mittlerweile geht es um eine Rolle für Italien, wie sie Mussolini einst mit seinen Äthiopien-, Somalia-, Griechenland- und Albanienüberfällen angestrebt hatte: die Rolle eines Mittelmeerpolizisten — auf regionaler Ebene ungefähr das, was George Bush für die US-Amerikaner weltweit reklamiert.

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