Entwirrte Irrfahrt

■ Bremen hat eine „Odyssee“ — TAB stellte erste „autonome“ Produktion vor

„Die drei“: Kaempfe Engelsmann Blum

Die Odyssee. Die Odyssee? Die Odyssee: Links Skylla, rechts Charybdis, dazwischen Sirenen und Einäugige und zu Hause Penelope — soweit in etwa die kleinste gemeinsame Grundlage unser aller Odyssee-Erinnerungen, obwohl eigentlich: ein Begriff, ein Abgrund. Und tosendes Heldentum, dessen Gischt einen bis heute aus Lesebüchern und Sagensammlungen umspritzt.

Aber geht es dabei nicht nur hoch her, sondern auch tief zu? Also mit tieferem Sinn und nachfragbarer Bedeutung, die man beantworten soll; der man heute noch auf die Schliche kommen kann, sogar theatralisch? Ist die Sage von Odysseus, Mega-Held von Troja, nicht einfach eine zwar grandios abenteuerliche, aber eben doch sehr zweidimensionale, eben epische (und sehr stationäre) Preisung eines Siegers, eines Besten aller Sterblichen, und seiner Penelope, der treuesten aller Frauen im Hause? Bißchen gewürzt mit gut und schlecht gelaunten GöttInnen? Geht das noch?

Es ist auf jeden Fall so: Will ein Theater heute und überhaupt das Epos der Odyssee spielen, muß das Theater Odysseus psychologisch ausleuchten und aus ihm etwa einen Heutigen, etwa einen sich selbst Entwickelnden machen. Und aus Penelope zumindest eine problematische Wartende. Und dann sind für die tiefere Bedeutung ja noch die prinzi- piellen Gegensatzpaare Mann

und Frau, Führer und Meute, Tod oder Leben reichlich da.

Das TAB, also das Theater Aus Bremen, also Anke Engelsmann, Peter Kaempfe, Gabriele Blum, das schon einen gewissen Mut aus seiner Abtrünnigkeit von Mama Shakespeare Company bezieht, wagt sich nun also unter Bezug auf diese ewigen Fragen — viel umwartet von Fans und auch von anderen — an jene opulente Bildermahlzeit, auf daß unsereins darüber keine Verdauungsstörungen bekommt. Nein, kriegen wir nicht, weil die Irrfahrer die jeweiligen Abenteuer am Rand quasi versäubert haben und wir nun in den Genuß der Essenz einer jeden Geschichte kommen — und also auch zu einer bekömmlichen Odyssee.

Und weil sich das TAB dem Erzähltheater verschrieben hat, sollen wir zwischen dem Zusehen auch wieder ein gewisses Zuhören lernen. Chris Alexander hat die Text-Vorlage frei nach Homer und verschiedenen Stellen bei William Shakespeare kompiliert und als Gastregisseur auch inszeniert.

Die Bühne, das kennen wir noch von der Company, ist leer; weißer Boden, weiße Lakenvorhänge hinten. Zweidrei vielseitig verwendbare Blickfänge. Und dann aber sie! Unsere Drei — möchte man ausrufen, kaltblütig vollblütige SchauspielerInnen, die zusammen in 27 Rollen (säuberlich durch drei geteilt in neun pro Kopf) nicht nur schlüpfen,

hierhin bitte

die drei weißgewandeten

sondern in jeder brillieren. Wie man derart ruckzuck von der anmutigen Nausikaa zum leicht debilen Schiffskoch mutiert, das bleibt unsereinem in seinem erdenschweren Schneckenleben wohl ewig unverständlich. Und wie Engelsmann/Blum das Publikum zu Helios' Rindern machen! Ach überhaupt.

Und natürlich Peter Kaempfe als Odysseus zwischen Macho und Läuterung, eher ein martialisches Würstchen als omnipotenter Potzprotz. Und natürlich Anke Engelsmann, die als Penelope gegen alle Vernunft teils standhaft, teils schwankend auf die Idee ihres/eines Mannes wartet. Und natürlich Gabriele Blum u.a. als Amme Eurykleia: soo verschwiegen eigentlich und doch soo gerne mitteilsam. Diese

drei schaffen es, uns um ihre Rollenfinger ins Geschehen zu verwickeln — erlassen uns aber mitnichten das Selberdenken und —ausmalen.

Was ein bißchen stört, ist eine Art entstandene Ordentlichkeit, Wirtlichkeit dieses doch eigentlich unwirtlichen Odysseus. Als wäre so eine sagenhafte Wuchtbrumme zähm-und zerstückelbar. Und: Wir spüren, wir sollen etwas davon haben und von der Odyssee auf jeden Fall etwas mitnehmen. Das ist natürlich nett, aber das möchte man gern selbst entscheiden. Genug der Mäkelei. Frenetischer Beifall mit Blumenergüssen.

Claudia Kohlhase

Nächste erreichbare Vorstellungen Sa/So, 19.30h, Schlachthof