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Blauäugigkeit im Schatten kommunaler Großmächte

■ Stadtplanung in der »Mulackei« — eine Ausstellung in der Galerie Im Scheunenviertel

Sind Mieterinitiativen ausstellungsträchtig? Können Selbsthilfeprojekte wie Kunstobjekte begangen werden? Ist ein verfallener Straßenzug, in Modellform gebracht, der kontemplativen Betrachtung zugänglich? Die Galerie Im Scheunenviertel präsentiert Mulackei — eine Ausstellung über Stadtplanung in der Mulackstraße. Sie liegt im Scheunenviertel (Berlin- Mitte) und ist als Renommierobjekt denkbar ungeeignet. Trotzdem muß bald etwas geschehen, um den Verfall ihrer Häuser endlich zu stoppen. Die Voraussetzungen dafür wären mehr als gut. Auf der einen Seite gibt es Selbsthilfeinitiativen und Sanierungsträger, auf der anderen hat der Senat schon vor Monaten 25 Millionen für die dringend notwendigen Bauvorhaben bewilligt. Doch das Geld liegt brach — wie auch andernorts heißen die größten Hürden Eigentum, Haushaltsplan, Bürokratie. So ist die Ausstellung, die der Verein Spandauer Vorstadt organisierte, vor allem dies: eine Mahnung, den vielen Worten nun endlich auch Taten folgen zu lassen und mit der »behutsamen Sanierung« im Scheunenviertel zu beginnen.

Auch Bausenator Nagel scheint darauf zu setzen, wenn er die Gegend als den »Kiez der Kieze« bezeichnet und sogar von »seiner europäischen Bedeutung« spricht. Sowohl geschichtliche Dimension als auch zentrale Lage heben diesen Kernbereich Berlins von anderen Stadtbezirken ab. Der Investorendruck auf den Innenstadtbereich steht der allseits geforderten Behutsamkeit wohl eher entgegen.

Angesichts der »desolaten bauphysischen Zustände« (Nagel) bleibt als Ausweg nur, sofort mit der Sanierung zu beginnen. Vielbeschworener Rettungsanker in diesem Zusammenhang ist das sogenannte »Enthemmungsgesetz«. Es soll vor allem dort greifen, wo ungeklärte Eigentumsverhältnisse bisher jeden Start verhinderten.

In der Ausstellung finden sich Modelle und Vorschläge zur Flächennutzung und Neubebauung der Mulackei von Landschaftsplanern und Architekturstudenten. Auf Schautafeln ziehen die Selbsthilfegruppen der Straße eine erste Bilanz: Was war geplant, was konnte umgesetzt werden, was nicht. Vor allem: Warum nicht? Springender Punkt bleiben die 25 Millionen. Mit der geschwundenen Euphorie der ersten Stunde schwand auch ein gutes Stück Blauäugigkeit, was die Versprechungen und Hinhaltetaktiken kommunaler Großmächte angeht. Daß dadurch die Betonung des Wortes »Selbsthilfe« wieder mehr auf der ersten Silbe liegt, kann für die anstehenden Aufgaben kaum von Schaden sein. Baumgartner

Die Ausstellung Mulackei. Stadplanung. Kiezkultur. Dokumentation. bis zum 10. April in der Galerie Im Scheunenviertel, Weinmeisterstraße 8, Berlin O-1020, Mo. bis Fr. 14 bis 20 Uhr, Sa. und So. 10 bis 20 Uhr.

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