piwik no script img

The Fog — Nebel des Schauens

Christos M. Joachimides, Regisseur der Kunstausstellung „Metropolis“, die am 19. April in Berlin eröffnet wird  ■ Von André Meier und Gabriele Riedle

taz: Herr Joachimides, wir haben gerade erfahren, daß Sie selbst jetzt, kurz vor der Eröffnung der Ausstellung, noch neue Künstler auf die Liste gesetzt haben. Wie kommt das?

Joachimides: Metropolis ist eine Ausstellung über die Gegenwart und für uns als Ausstellungsmacher auch immer ein Lernprozeß. Als mein Kollege Norman Rosenthal und ich vor etwa einem Jahr begannen, diese Ausstellung zu konzipieren, haben wir uns in einer Art Nebel befunden und je weiter wir vorankamen, um so klarer ist es für uns geworden. Es ist ein Prozeß, ein Bild von der Gegenwart zu gewinnen, oder sie machen etwas im voraus Totes, wenn sie mit einer präfabrizierten Vorstellung in so ein Projekt gehen. Bei einer Picasso-Retrospektive ist das eine andere Sache, da brauchen sie nur Kentnisse und ein gutes Auge, um die richtige Auswahl und die richtige Gewichtung zu treffen. Wenn sie aber eine Ausstellung über die Kunst der Gegenwart machen, muß man tasten, ausprobieren, um in einer Art Verschärfungsprozeß auf den Punkt zu kommen: Das ist meine Meinung über die Kunst der Gegenwart.

Lag zuerst Ihr Konzept oder erst das Geld der Stadt auf dem Tisch. Schließlich soll die Ausstellung „auf Berlins wiedergewonnenen Status einer ungeteilten Kunstmetropole“ hinweisen und wird mit fünf Millionen Mark aus der Kasse der Deutschen Klassenlotterie Berlin finanziert.

Das war unsere fixe Idee und wir haben sie mit der List, die die Wahrheit braucht, um durchgesetzt zu werden, wie Brecht sagt, der Stadt nahe gebracht. Wir haben sie durch schönes Reden bezirzt.

Sie haben aber mit Ihrem Konzept auch auf die Eitelkeit der Stadt spekuliert?

Ich bin auf meinem Gebiet nicht total unbekannt und natürlich spekulieren viele Leute positiv oder negativ auf diese oder jene Sensation. Diese Kunstprojekte haben einen langen Anlauf. Das beginnt mit Besprechungen, Gesprächen informeller Art. Damals war Volker Hassemer Senator und der wollte das machen. Dann kamen die Wahlen und die Veränderungen, und eines Tages war das Projekt trotz allem doch noch reif, viele Faktoren — es läuft fast kafkaesk — kommen plötzlich zusammen. Wir hatten das Glück, das Geld, was wir beantragt haben, zu bekommen. Fünf Millionen. Was als absolute Zahl viel klingt, aber die unterste Grenze ist, wenn man das etwa mit der Kasseler documenta 9 im kommenden Jahr vergleicht, dort sind es zwölf Millionen.

„Metropolis“ war also nicht eine Idee, die am 10. November 1989 geboren wurde?

Es ist eine Idee, die Ende der achtziger Jahre von Norman Rosenthal und mir geboren wurde. Wir meinen, daß Mitte der achtziger Jahre ein sehr erkennbarer Bruch in der Kunst eintrat: Eine junge Generation wird öffentlich und in Köln oder New York sichtbar. Und wenn wir eine Metapher benutzen die an Freud angelehnt ist, so wissen wir: Wenn die Söhne gegen die Väter revoltieren, dann suchen sie irgendwo eine Modellanlehnung. Und das sind die Großväter. Wenn wir das in den Bereich der bildenden Kunst übertragen, wenn die jungen Künstler der späten achtziger Jahre gegen die großen Malerpersönlichkeiten revoltieren, dann suchen sie die „Großväter“ in der konzeptuellen Kunst. Obwohl sie sehr unterschiedliche Sachen hier sehen werden, gibt es eine starke Affinität zu einer konzeptionellen Sprache, die man — behind the pictures — wieder entdeckt hat. Wir haben jetzt eine andere Situation in der Kunst und das ist das Thema dieser Ausstellung. Es ist keine Ausstellung der 72 wichtigsten Künstler der Welt. Es ist die Situation seit etwa 1985, 1986 bis heute, die neue Generation die in den letzten fünf, sechs Jahren herausgekommen ist. Und weil wir glauben, daß Kunst von Kunst kommt und nicht vom Himmel fällt, hat sie auch einen kunsthistorischen oder einen argumentativen Hintergrund. Deswegen haben wir eine begrenzte Anzahl von älteren Künstlern — man kann sie in einer altmodischen Weise „Meister“ nennen — eingeladen.

Welche Bedeutung haben die „Meister“ für die Jungen?

Zum Beispiel hat heute die Fotografie eine sehr große Präsenz und Bedeutung bekommen, sicher sind Gilbert und George auch Initiatoren dieser Geschichte. Die neue Skulptur in Formen, die sowohl bei uns in Deutschland als auch in Amerika sehr vermittelt erscheint, ist ohne eine Figur wie Bruce Nauman nicht denkbar. „Haltungen“ sind wichtig. Zum Beispiel bei Gerhard Richter: Der Versuch, Individualität zu verleugnen und gleichzeitig mit verschiedenen Gesichtern zu erscheinen, also eine Polymorphie in derselben kreativen Person wird hier manifest; da kann man zugleich ein abstraktes Bild, ein Farbquadrat und eine realistische Kerze machen. Dies sind sehr wichtige Anregungen, die auch auf die Jüngeren gewirkt haben.

Ist das Ihre Definition von dem, was Sie oft „Haltung“ nennen, und was sie am meisten interessiert?

Mit „Haltungen“ meine ich eine Verbindung zwischen Weltbild, Strategie und Selbstverständnis. Das ist sehr wichtig für das Verständnis dessen, was die Künstler heute machen. Bei der gerade entstehenden Kunst ist die Kenntnis der Person essentiell und unverzichtbar. Denn ein Werk, das entsteht, ist noch nicht definiert, es ist noch im Fluß. Man sieht in einer Galerie ein, zwei Arbeiten — das sagt zu wenig. Das kann ein geglückter Wurf von einem mittelmäßigen Oeuvre, es kann aber auch die Spitze des Eisbergs sein. Für uns als Ausstellungsmacher heißt das also, alles vor Ort zu suchen, zu sehen, was da passiert, zu vergleichen, am Abend zu diskutieren und dann am nächsten Tag noch weiter an die Front zu gehen, um zu vorläufigen Resultaten zu kommen, die vielleicht nach einem Monat wieder revidiert werden.

Gibt es also viele Künstler, die Sie erst interessiert haben und die Sie dann wieder fallen ließen?

Absolut. Ein klassisches Mittel der Kunstgeschichte ist der Vergleich, durch den man Qualität entscheiden kann. Auch bei den Klassikern. Die einzige Möglichkeit, ein Oeuvre zu begutachten, ist, alle komplexen Motive zu erforschen und dann sehen Sie sofort: Das hier ist das große Bild. So ist das auch bei den jungen Künstlern. Wenn man sehr viele sieht, wenn man selber recherchiert, begibt man sich selbst in einen Lernprozeß und der Nebel geht weg.

Was hat sich ich denn nun aus dem Nebel herauskristallisiert? Ist es diese Rückwendung zur Concept Art, die Orientierung an den Großvätern?

Was sehr charakteristisch und sehr wichtig ist, auch überm Teich und sogar in Osteuropa, ist eine sehr verschärfte Auseinandersetzung mit der urbanen Welt, mit der Stadt, ihren Abfällen, ihrer Möblierung, ihren Konflikten, ihrer Gewalt, ihrer Glücklosigkeit oder Glückseligkeit, mit der vermittelten Wirklichkeit. Von Muchas Obsessionen mit der Deutschen Bundesbahn bis zu den Konsolen von Steinbach, wir können die ganze Liste durchgehen: Fest eingehakt sind die Künstler in diese urbane Welt.

Geben sie nicht schon allein durch den Titel der Ausstellung diesen von ihnen aufgespürten Trend vor?

Was den Titel betrifft, muß ich zwei Mißverständnissen vorbeugen. Zuerst hieß es, Metropolis sei eine Ausstellung über Architektur, und dann, es sei eine narrative Ausstellung mit „Bildern der Großstadt“. Nein, der Titel kam eigentlich spät.

Ist Fritz Lang hier der Großvater, der zurückkehrt?

Früher waren wir hier physisch am Ende der Welt, insbesondere der Martin-Gropius-Bau, direkt an der Mauer. Wir haben aber auch den Kiez, diese miefige, warme Wohnstube Westberlin gehabt, wo wir alle sehr glücklich waren. Im Herbst ist etwas Ungeheuerliches passiert: Da war eine gestandene fünfzigjährige Berliner Taxifahrerin. Sie sagte etwas und der Norman Rosenthal ist fast aus der Taxe rausgeflogen. Sie erzählte uns eine Geschichte über ihre einundzwanzigjährige Tochter, die kam neulich und sagte, „Mama ich habe Angst hier in Berlin“. „Warum hast du denn Angst?“ „Es sind so viele Russen um Berlin, 300.000 Soldaten, und jetzt, wo die Mauer weg ist, wer schützt uns vor diesen vielen Russen?“ Es ist unglaublich, eine Umkehr der Geschichte, die Story hat mich so fasziniert. Das ist Berlin. Das Berliner Bürgertum ist plötzlich entsetzt, wenn man in einem Kaufhaus eine halbe Stunde länger ansteht oder ein Papierfetzen mehr auf der Straße liegt. Das ist ganz normal und bei Harrod's müssen Sie doppelt so lange warten und die Oxfordstreet ist dreckig und alle Großstädte sind so. Und jetzt wird Berlin wieder Großstadt, das gehört auch zum Titel. Metropolis ist die Rückkehr der Utopie.

Die Rückkehr welcher Utopie?

Wir stehen an der Kreuzung: Der eine Weg ist die Utopie und der andere der Rückfall in eine totale Selbstmitleidsprovinzialität. Die Utopie ist, daß Berlin wieder zu einer Kreuzstelle zwischen Paris und Moskau, Mailand und Stockholm wird. Berlin war nie das große Zentrum der Kreativität, aber es war das absolute Zentrum der Debatte, des Vergleichs, der Reibung. Hier wurde das ausgestellt, diskutiert, gesammelt. Graf Kessler hat hier das erste Bild, daß je ein Privatmann von van Gogh gekauft hat, erworben und die ersten Bilder von Cezanne hat nicht ein französisches Museum, sondern Justi für die Berliner Nationalgalerie angekauft. Das war Berlin und ich wünsche mir so ein Berlin wieder: Das ist die Utopie. Und wenn man sich die Bilder von Metropolis von Fitz Lang vergegenwärtigt, so ist ein Charakter, den man filtriert, der eines sehr utopischen New York, eine Art Chicago der Zeit des architektonischen Großwettbewerbs. Diesen merkwürdig gebrochenen utopischen Aspekt von Fritz Lang meine ich, und das hat mit meiner gebrochenen Utopie zu tun.

Die Politiker pflegen hier genau das Metropolis-Image und sind unheimlich scharf auf so eine Ausstellung mit genau so einem Titel. Aber genau dieselben Politiker wollen die Polen nicht hier haben.

Als wir mit der Arbeit begannen, stand die Mauer noch. Es ist sicher eine Gefahr, daß mich alle jetzt vereinnahmen wollen. Aber New York schreckt mich mehr als die Berliner Kulturpolitik. Die hoffen angesichts der großen Kunsthandelskrise tatsächlich, daß Metropolis es vielleicht schafft, daß sich der Markt wieder erholt. Diese Ansprüche sind abenteuerlich, jeder hat vielleicht sein Problem, alle wollen sie was. Wir sind hier kein Selbstbedienungsladen von fremd bestimmten Wünschen.

Sind sie es etwa nicht? Sie setzten sich ja nicht einfach hin und machen eine wunderbare Ausstellung, sondern die hat eine eminent wichtige kulturpolitische Funktion.

Was meinen Sie, für wen ich diese Ausstellung mache?

Für wen machen Sie sie denn ?

Nur für mich, für mich allein. Am schönsten ist so eine Ausstellung, wenn sie abends um zehn alleine in den Räumen sind. Und wenn sie eine Ausstellung gut für sich selbst machen, ist sie auch gut für hunderttausend Leute.

Sie können aber nicht einerseits argumentieren, Berlin hat eine kulturgeschichtlich wichtige Funktion und andererseits so tun, als ob sie für sich allein diese Ausstellung machen.

Die Ausstellung ist unser kleiner Beitrag zu einem Traum. Wenn Peter Stein hier eine schöne Theateraufführung inszeniert, ist Berlin wieder das Zentrum der Theaterkultur der Welt. Aber er macht sie nicht, damit der jeweilige Senator das zur Pressekonferenz mitteilen kann.

Sehen Sie es als Ihre politische Aufgabe, den Osten einzubeziehen? In einem Interview sagten Sie so etwas.

Ich glaube, Sie machen einen Fehler, wenn Sie glauben, diese Ausstellung ist eine Addition aus verschiedenen Überlegungen, die hier in einen Mixer hineinkommen aus dem dann ein Brei quillt und der heißt Metropolis. Für das, was im östlichen Teil Europas passiert — ich zähle auch die ehemalige DDR dazu — habe ich eine ganz private subjektive spontane Neugier und moralische Verpflichtung empfunden. Ich habe mir gesagt: Mensch, du kannst nicht 1991 in Berlin eine Ausstellung machen und diesen ganzen Bereich Osteuropa außer acht lassen. Es gab vor einigen Jahren eine Ausstellung mit einem mir unverständlichen Titel, „Westkunst“, in Köln. Den Titel empfand ich merkwürdig und peinlich. War das „Westkunst“, was Malewitsch gemalt hat? Natürlich dachte ich nicht an Künstler, die man in Ausstellungen sieht wie sie alle kennen, „20 tschechische Maler“ oder „12 polnische Bildhauer“. Das sind schreckliche Veranstaltungen, die sie nach fünf Minuten verängstigt verlassen und sie würden gut daran tun, dort gar nicht erst reinzugehen. Ein Problem ist aber: Im Westen bedient man sich funktionierender Informationssysteme. Wenn ich übernächtigt in Paris oder New York ankomme, weiß ich immer, wo ich am Morgen jemanden treffen, wo ich was sehen kann. Im Osten gibt es so etwas nicht. Wir haben einen Künstler in Budapest besucht, der vor zehn Jahren einen Antrag auf ein Telefon gestellt und bis heute keins bekommen hat. Wir haben ihn eingeladen und verkehren miteinander nun per Telegramm, denn die Briefe dauern manchmal zwei Monate. Und ich habe extra einen Assistenten beauftragt, die Grundrecherchen zu machen. Wir haben sehr konzentriert geschaut und haben hier und da und an sehr abenteuerlichen Orten etwas gefunden, was wir sehr originär, sehr authentisch fanden, außerhalb der offiziellen Kulturkanäle. In Bratislava — eigentlich habe ich nicht einmal zu hoffen gewagt, etwas Interessantes zu finden —, dort habe ich eine sehr kafkaeske Figur gefunden, eine sehr starke Persönlichkeit, die ich sehr authentisch fand, die fast nie ausgestellt hat und die nun mit dabei ist. In Polen, auf dem Land, habe ich auch einen originellen Bildhauer gefunden.

Legen Sie bei den Künstlern aus dem Osten andere Maßstäbe an?

Die Leute dort sagten: Wir wollen keine anderen Maßstäbe, keinen Kinderspielplatz Osteuropa. Das fand ich sehr toll, sehr mutig und sehr hart. Und ein Kunstkritiker in Prag, er hat mit Havel im Gefängnis gesessen, der war noch aggressiver, der sagte: Kommt doch mit einem solchen Konzept in zwanzig Jahren wieder! Ganz unrecht hat er nicht, die Situation ist kaputter als man denkt. Die totale Vernichtung der visuellen Kultur in diesen Ländern ist enorm und das kann man auch am besten in der ehemaligen DDR studieren.

Sie haben einen einzigen Künstler aus der DDR dabei.

Ja einen — Rainer Görß — habe ich dort entdeckt und den finde ich so unglaublich authentisch und so enorm überzeugend. Ich stehe zu dieser Auswahl. In der DDR sind auch noch sehr irre geleitete deutsche Traditionen virulent. Das kann man nicht mit den anderen Ländern Osteuropas vergleichen. Nirgendwo war die staatliche Kontrolle des Kulturgeschehens so stark wie in der DDR.

Wie wurde die deutsche Tradition in der DDR irre geleitet?

Die Verdammung aller experimentellen Kunstformen in der DDR hat fast zwangsläufig als Klammer gewirkt. Dresden ist ein Schlüsselwort, das ist nicht irgendeine Stadt, das ist die Wiege des deutschen Expressionismus. Es gibt dort eine sehr große Tradition einer malerischen Kultur. Die Jungen haben nur Malerei gelernt, sonst nichts. Dazu kommt als zweiter Aspekt: das Phänomen Penck. Plötzlich wird einer der ihren ein Weltstar. Vor ein paar Jahren gab es jenen denkwürdigen Abend mit Joseph Beuys in der Ständigen Vertretung in Ost-Berlin. An diesem Abend war sie offen und tatsächlich kamen zu Beuys unzählige Menschen. Das war eine unglaubliche Schlange, das hatte nichts mehr mit Kunst zu tun. Beuys war sehr krank, aber er stand tapfer dort und die alten Omas defilierten an ihm vorbei und fragten nach homöopathischer Medizin, junge Menschen, die Lebenshilfe von ihm erwarteten, Kunstinteressierte, die den Medienstar begaffen wollten. Das war wie beim Papst. Es war eine Pilgerfahrt von Rostock und dem Erzgebirge nach Ostberlin, die Leute suchten die Benediktion von Beuys. Und an dem Abend habe ich verschiedenen junge Künstler aus der DDR kennengelernt und ich habe unter ihnen folgende Hierarchie festgestellt: Zuerst kamen die Freunde von Penck, das waren die Apostel, dann kamen die Freunde der Freunde von Penck, das war schon Aristokratie und dann kam eine erlesene Schar von Leuten, die wußten, daß es Freunde von Penck in Dresden gibt. Es war eine starke gesellschaftliche Hierarchie. Auf der einen Seite war dieses enorme Phänomen Penck und auf der anderen Seite das Trio infernale Heisig, Mattheuer und Tübke aus Leipzig. Aber ich habe bei meinen Recherchen in der DDR festgestellt, daß bei der jungen Generation kaum Aggressionen gegen diese Leute vorhanden waren. Doch sowohl die in der Nähe des Regimes lavierenden, als auch die, die versuchten eine Alternative zu finden, waren durch Tradition und Erziehung in einem wie weit auch immer gefaßten Rahmen an diesen expresiven Duktus gebunden. Wenn man die Akademie in Düsseldorf mit der Hochschule in Dresden vergleicht, dann sind Welten dazwischen.

Es gab aber nicht nur Rainer Görß in Dresden, da experimentierten ja noch mehrere. Es gab Via Lewandowsky, Else Gabriel, Michael Brendel undsoweiter.

Die sind auch interessant.

Sie gelten als ein großer Stratege, als ein Mann der große Knallbonbons baut?

Ich habe Kunstgeschichte gemacht.

Sie besitzen durchaus ein gesundes Selbstbewußtsein. Sie sind also ein großer Stratege, der auch Kunstgeschichte gemacht hat.

Ich habe das ironisch gemeint. Denn alles, was ich in meiner Arbeit tue, ist ein Statement zur Zeit abzugeben, hinter dem ich hundertprozentig stehe.

Sie versuchen Aufmerksamkeit für bestimmte Dinge zu erregen. Was tun sie dafür, daß alle Leute ihre 72 Künstler ganz toll finden?

Wir kommen mit dieser Frage auf den Punkt: Das ist, was ich die „Inszenierung“ nenne. Bei vielen erweckt das Wort Aggressionen und Widerspruch. Ich aber glaube, daß die Kultur dieses Jahrhundert extrem hermetisch ist. Seit etwa den Demoiselles d‘Avignon von Picasso, den ersten Stücken der Wiener Schule, den frühen Cantos von Ezra Pound, werden die bildende Kunst, die Musik, die Literatur hermetischer. Für meinen Bereich ist es sehr wichtig, Präsentationsformen zu entwickeln, die einem größeren Publikum einen unmittelbaren sinnlichen Zugang ermöglichen. Wenn das erreicht ist, besteht die Chance, daß aus einer Neugier eine Wißbegier entsteht, und dann kann die Vertiefung oder die konkrete Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk beginnen. Wenn diese Initialzündung nicht möglich ist, hat es gar keinen Zweck. Die Möglichkeiten, eine Ausstellung zu präsentieren, ist durch die jüngere Kunstgeschichte nicht festgelegt. Es ist eine kreative Tätigkeit und ich glaube, daß so etwas wie Musikalität, wie Rhythmik sehr wichtig sind. Es ist nicht für jeden sichtbar, der in die Ausstellung gerät, aber es ist unterschwellig da und es wirkt. Ich versuche diese Art Verdichtungen oder Verlangsamungen möglich zu machen. Ich versuche, eine Art Partitur zu schreiben. Man kann nicht sagen: Hier ist ein Raum und ich hänge hier irgend etwas auf. Man muß eine ganz bestimmte Vorstellung davon haben, was eine Ausstellung ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen