„Eingreifen vielleicht unvermeidbar“

■ Bonn hält internationale Reaktionen auf Flüchtlingsproblem für unzulänglich

„Äußerst unzulänglich“, so formulierten es Alfred Dregger und Karl Lamers, habe die internationale Staatengemeinschaft schon einmal auf Menschenrechtsverletzungen durch Giftgasangriffe gegen Kurden reagiert. Darum, so der Vorsitzende und der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, seien nun die Vereinten Nationen zum Handeln aufgerufen.

Auch Bonn begann gestern zu handeln und zu agitieren. So beschied gestern Hans Stercken, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, ein militärischer Schlag gegen die irakische Luftwaffe werde sich unter Umständen nicht mehr vermeiden lassen. Komme es in den nächsten Tagen zu umfassenden Einsätzen der irakischen Luftwaffe gegen die Kurden, müsse sich der UN-Sicherheitsrat damit befassen. Wahrscheinlich werde nichts anderes übrig bleiben als ein militärischer Einsatz, wenn man Hunderttausende Menschen vor der Vernichtung retten wolle.

Hans Dietrich Genscher hielt sich dagegen zurück. Eine „klare Entschließung“ des UN-Sicherheitsrates, die auch weitergehende Maßnahmen androhe, werde ihre Wirkung haben, sagte der bundesdeutsche Außenminister in bezug auf die Äußerungen seines niederländischen Amtskollegen Van den Broek. Dieser hatte nämlich gefordert, dem Irak ein Ultimatum zu setzen und ihn nach Ablauf desselben anzugreifen.

Allerdings sagte Genscher auch, daß die Verfolgung der Kurden keine innere Angelegenheit des Irak sei, in die man sich nicht einmischen dürfe. Der Außenminister kritisierte gestern überdies, die Vereinten Nationen behandelten das Kurdenproblem schleppend. Er selbst forderte die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates auf, die Waffenstillstandsforderung zu ergänzen: danach solle die Verfolgung der kurdischen Minderheit eingestellt und die Rückkehr der Flüchtlinge unter UNO-Aufsicht ermöglicht werden.

Das Bonner Auswärtige Amt setzte gestern einen Arbeitsstab Kurdenhilfe ein, der alle diplomatischen und humanitären Hilfen koordinieren soll. Weitergehendes als den sofortigen Stopp der Kurden-Verfolgung forderte gestern der SPD-Europaabgeordnete Gerhard Schmid: Ohne einen eigenen Kurdenstaat, so Schmid, könne es keinen dauerhaften Frieden im Nahen Osten geben.

In Bonn hatte gestern eine Gruppe von Kurden die irakische Botschaft besetzt, bis diese von der Polizei geräumt wurde. Geplant war auch, die sowjetische Vertretung zu besetzen, um, so ein Kurde zur taz, „darauf aufmerksam zu machen, daß die sowjetische Regierung in Moskau ihren Einfluß im UN-Sicherheitsrat nicht nutzt, um uns zu helfen.“ Für Samstag hat das Bonner Netzwerk Friedenkooperative zu einer Solidaritätsdemonstration für die betroffenen Kurden aufgerufen. Ferdos Forudastan