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Haus und Grund gibt's nur im Ausnahmefall zurück

In Polen wird über die Reprivatisierung von Immobilien gestritten/ Walesa drängt auf Rückgabe — Regierung dagegen/ Entschädigung durch Bons  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Ewa Wierzbowska, Bevollmächtigte des Vereins enteigneter Immobilienbesitzer, ist auf die polnische Regierung nicht gut zu sprechen: „Diese Regierung macht da weiter, wo die Kommunisten aufgehört haben.“ Wierzbowska kämpft, wie Tausende andere, um die Rückgabe enteigneter Immobilien an die früheren Eigentümer. Grund ihres Ärgers ist ein Regierungsbeschluß aus der vergangenen Woche. Danach sollen die früheren Haus- und Grundeigentümer nur dann entschädigt werden, wenn bei ihrer Enteignung gegen geltendes Recht verstoßen wurde — was in der Regel nicht der Fall gewesen ist. Und entschädigt werden sollen sie nicht durch Rückgabe der Immobilien, sondern in Form von Privatisierungsbons. Diese Bons können wiederum gegen Aktien an privatisierten Staatsbetrieben eingetauscht werden. Die Rückgabe von Häusern, Feldern und Fabriken soll die Ausnahme sein.

An diesen Bons haben die enteigneten EigentümerInnen kein Interesse; sie wollen Entschädigung, auch legal enteignete Immobilien zurückhaben. Außerhalb Warschaus hat es der Verband von Ewa Wierzbowska schon geschafft, daß einzelne Häuser an ihre früheren EigentümerInnen zurückgegeben wurden. In der polnischen Hauptstadt wird dies jedoch durch ein Dekret von 1945 blockiert. Damals wurde der gesamte Immobilien- und Grundstücksbesitz innerhalb Warschaus enteignet — um den Wiederaufbau der Stadt zu ermöglichen, wie es offiziell hieß.

„24 Prozent der verstaatlichten Gebäude waren überhaupt nicht zerstört. Die Mehrzahl der beschädigten Gebäude war nur ausgebrannt“, sagt Miroslaw Szypowski, Präses der Grundstücksbesitzervereinigung. „In vielen Fällen haben die Besitzer sogenannte Promessen bekommen, also das Versprechen, daß sie ihren Besitz zurückbekommen, wenn sie ihn renovieren.“ Doch nach getaner Arbeit wurden die Promessen nicht mehr anerkannt, und 1985 verfügte der Sejm das Erlöschen aller Ansprüche aus der Nationalisierung. Für Szypowski war das Dekret, erlassen von der kommunistisch beherrschten Übergangsregierung, „schlicht illegal“.

Anfang der achtziger Jahre begann der Staat dann, Teile dieses nationalisierten Vermögens weiterzuveräußern, „wie ein Hehler“, erzürnt sich Szypowski. 20 Prozent sind jetzt in Händen Dritter. Und weil jetzt ein Großteil des staatlichen Vermögens an die Kommunen gehen soll, befürchten die verhinderten Häuslebesitzer, daß ihr ehemaliges Eigentum über die Kommunen noch weiterveräußert wird. Ex-Wohnungsbauminister Paszynski verbot kurz vor seinem Abtritt noch den Weiterverkauf, mehr erreichten die Lobbyisten vom Hausbesitzerverband bei ihm nicht. Bei Polens neuem Bauminister Glapinski trafen sie dagegen auf Unterstützung. Folge: Da die Warschauer Immobilien aus dem Regierungsprojekt „Bons statt Rückgabe“ ausgeklammert sind, besteht die Möglichkeit, daß die 18.000 Objekte in Warschau in Kürze neue alte Eigentümer finden werden.

Zu verdanken haben Ewa Wierzbowska und Miroslaw Szypowski dies vor allem Lech Walesa. Kaum Präsident geworden, empfing der die streitbare Gynäkologin und versprach, die Reprivatisierung bis Ende des Jahres unter Dach und Fach zu bringen. Und um ein Exempel zu statuieren, besuchte er auch gleich die ehemaligen EigentümerInnen seiner Amtsresidenz, um ihnen deren Rückgabe zuzusagen. Und der Familie Branicki, denen das Schloß in Wilanow zuletzt gehört hatte, versprach er Unterstützung bei den Bemühungen, Teile des Besitzes zurückzuerhalten.

Ein Sturm der Entrüstung erhob sich, denn Wilanow, so schrieben viele Zeitungen, sei schließlich „nationales Eigentum“. Und es stellte sich heraus, daß die Bürokraten die Sache nicht so einfach sahen — und der Präsident für die Reprivatisierung ja eigentlich gar nicht zuständig ist. Worauf Walesa einen Bevollmächtigten beauftragte, einen entsprechenden Gesetzentwurf zu erarbeiten. Und im Gegensatz zu dem Entwurf der Regierung sieht dieser vor, soviel wie möglich und in natura zu entschädigen. Eine ähnliche Linie vertritt auch Bauminister Adam Glapinski, der der Zentrumsvereinigung angehört.

Damit geht der Streit um die Reprivatisierung mitten durch die Regierung. Denn nach dem Willen von Privatisierungsminister Janusz Lewandowski soll es Sachleistungen nur für widerrechtlich Enteignetes, Apotheken, Enteignungen, nach denen die gesetzlich vorgeschriebenen Entschädigungen nicht geleistet wurden und Enteignungen infolge von Vertreibung geben. Ausgeschlossen bleiben davon ausdrücklich Entschädigungen an vertriebene oder ausgesiedelte Deutsche.

Die Gegner der Rückgabe von Wohngebäuden befürchten, daß die Reprivatisierung zu Massenkündigungen und horrenden Mietsteigerungen führen könnte. Bisher sind in vielen solcher Bauten Sozialmieter untergebracht, oft sogar zusammen mit den früheren Eigentümern. Nach wie vor gibt es auch die Regelung, wonach ein Haus zwar Privateigentum ist, die Miete aber — bei gleichzeitigem Kündigungsverbot — von den Sozialämtern festgelegt wird. Da diese aber weit unter den laufenden Kosten liegt, subventionieren private Haubesitzer zwangsweise die Mieten.

Auf diese Weise ist es zu einer völlig verzerrten Mietsituation gekommen. Für eine 100-Quadratmeter- Wohnung in Warschau müssen SozialmieterInnen 60.000 Zloty (12 DM) im Monat bezahlen, während allein die laufenden Kosten über 300.000 Zloty (60 DM) liegen. Auf dem freien Markt dagegen werden für eine Wohnung dieser Größe bereits 1.000 Mark Kaltmiete kassiert. Dies alles vor dem Hintergrund eines durchschnittlichen Monatsverdienstes von knapp 300 DM. Daß die Furcht, die Sozialmieten würden nach der Reprivatisierung auf das Niveau der freien Mieten explodieren, nicht aus der Luft gegriffen ist, muß inzwischen die traditionsreiche Krakower Jagiellonen-Universität feststellen, der einige private Eigentümer von bisherigen Uni-Einrichtungen auf einen Schlag die Mieten vervielfachten.

Im Fernsehen erklärte ein Uni- Vertreter, selbst die Schließung einzelner Institute sei nicht ausgeschlossen. Zwar sind bis jetzt Kündigungen von Privatpersonen aufgrund des nach wie vor geltenden besonderen Mietrechts fast unmöglich, doch fordern die enteigneten Hausbesitzer dessen Änderung. Doch bisher gibt es in Polen noch kein Konzept für die soziale Absicherung von Mietern. Der Verein der Haubesitzer verweist statt dessen auf die Statistik: 370.000 Familien in Sozialwohnungen gebe es und zugleich 360.000 leerstehende Wohnungen. Nur eine Reprivatisierung garantiere, daß diese, oft von den staatlichen Verwaltungen vergessenen Leerräume genutzt würden.

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