: „Nicht jeden Ex-SEDler an die Wand nageln“
Aus Mangel an StaatsdienerInnen können OstbewerberInnen nicht mit der „Lupe untersucht“ werden/ Westler wehren sich gegen Zwangsversetzung, fordern jedoch um so heftiger mehr Geld ■ Aus Bonn Bernd Müllender
„Ach du Scheiße“, entfuhr es, recht spontan und nicht ohne kokettierende Freude, dem obersten Beamtenfunktionär Werner Hagedorn, als er gestern den restlos überfüllten Saal zu seiner Pressekonferenz betrat. So viele Medienmenschen, die sich für das deutsche Beamtenwesen interessieren, sonst eher Hort sprichwörtlicher Langeweile und lähmender Ereignislosigkeit, hatte der Chef des Deutschen Beamtenbundes (DBB) lange nicht mehr erlebt.
Doch in besonderen Zeiten gibt es eben besondere Themenschwerpunkte. Im öffentlichen Dienst der Ex-DDR läuft wenig — Arbeitslosen-, Wohn- und Kindergeld kommen insbesondere auf dem Land nicht an, Katasterämter sind Katastrophenämter, selbst die Zehnmark-Briefmarken-Schenkung des Postministeriums findet seine Adressaten nicht. Hagedorn weiß um die Eilbedürftigkeit: Die Lage sei „fast überall kraß“. Also „müssen die Verwaltungsbereiche schnellstens und von Grund auf neu aufgebaut werden“.
Allerdings will sich kein Beamter, weder ähnlich schnellstens noch langsam längerfristig zwangsversetzen lassen. Hagedorn erklärte die Gründe, mit eigentlich beamtenfremdem Vokabular: „Eigeninitiative und Pioniergeist“ seien in Ostdeutschland gefragt, und die könne nicht erbringen, wer dazu gezwungen werde. Auch „psychologisches Einfühlungsvermögen“ sei dabei vonnöten, und das könne nur bei freiwilligen Wechslern wachsen und gedeihen.
Den Ruf nach Zwangsversetzungen aus der Politik, wie zuletzt von einer großen Koalition von SPD- Chef Vogel über Wirtschaftsminister Möllemann bis in die CDU/ CSU-Koalition gefordert, wies Hagedorn zurück. Heute will Hagedorn das Innenminister Schäuble „in einem Grundsatzgespräch“ noch einmal ganz deutlich machen. Außerdem wehre sich der Beamtenbund gegen eine Verzögerung der Besoldungsanpassung, die statt ab dem 1. Januar erst ab März ausbezahlt werden soll. Dies sei vor allem für Pensionäre unerträglich.
Nur wenige tausend Westbeamte, manche zudem kurzfristig, arbeiten bislang im Osten. Mindestens 20.000 Anschub-Beamte wären nach Schätzungen des DBB sofort notwendig. Die StaatsdienerInnen finden einen Umzug jedoch oftmals unzumutbar. So fliegt jeden Tag eine Tupulev als Beamtenshuttle vom Köln-Bonner Flughafen nach Berlin für den besonderen Tageseinsatz am Ostschreibtisch.
Die Zeit spielt für die unflexiblen Beamten. Denn je größer die Ostnot wird, desto besser können die öffentlich Bediensteten aus dem Westen ihre alternativen Vorschläge durchsetzen: schlichte Geldforderungen nämlich. Die heißen offiziell „Anreize“ und „Zuschläge“ und „Zulagen“, beamtenintern als „Buschgeld für die Kinderlandverschickung“ apostrophiert. Schon jetzt wird der harte Weg gen Osten mit zusätzlichen bis zu 2.500 Mark monatlich honoriert — steuerfrei versteht sich. Da arbeiten dann der Ostler und Westler nebeneinander — nur der eine verdient viermal soviel. Dennoch ließen sich noch weitere Anreize denken, meint der DBB, die auch die Pension erhöhen würden. Und der Beamtenbund will sich auch einer Doppelbeförderung nicht verschließen: eine beim Wechsel hin und eine bei Rückkehr.
Das deutsche Beamtenrecht ist wie gemacht für die Wiedervereinigung. Denn Kommunal- und Länderbeamte können gar nicht zwangsversetzt werden, weil sie ihren Dienstherrn ändern müssen — das geht nur mit ausdrücklicher Zustimmung der Betroffenen. Und soviel Bundesbeamte sind nicht übrig: Schon jetzt, so Hagedorn, beklagten sich BürgerInnen hierzulande über „die Durststrecke der Einschränkung der Serviceleistungen“. Dieser Mangel hat Folgen. Denn damit der geplante Apparat von gut 550.000 Beamten in den neuen Ländern auch zusammenkommt, will der DBB „nicht jeden an die Wand nageln oder unter den Röntgenapparat legen, nur weil er einmal SED-Mitglied war“. Sehr fortschrittlich: Früher war jeder DKP-Lokführer automatisch mit Berufsverbot auf dem Abstellgleis.
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