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Paragraph 175 StGB, Abs.1

■ Eine Ausstellung und ein Buch

Gegen den Homosexuellenparagraphen ist eigentlich nicht zu argumentieren, sondern nur an die Schmach zu erinnern.“ Theodor W. Adorno

Unterdrückung, Kriminalisierung, Verfolgung und Vernichtung Schwuler sind eine der Konstanten deutscher Geschichte. Die Tradition heterosexueller Beraubung der Menschenrechte ist nicht zuletzt auch an den Wandlungen und Stetigkeien deutscher Gesetzgebung auszumachen. Der §175 ist hier Symbol für Homounterdrückung, Kristalisationspunkt und kleinster gemeinsamer Nenner der bundesdeutschen Schwulenbewegung.

Schwierigkeiten bei dem Umgang mit dem §175 zeigen sich in der Dokumentation zu einer Ausstellung, die am 8. März Linda Reich in der Frankfurter Paulskirche eröffnet wurde. Das Buch stößt in seinen Beiträgen, die die Geschichte des „Schandparagraphen“ bis in die Gegenwart aufrollen, in unterschiedlichster Weise an die Grenzen, die eine rein juristische Betrachtungsweise mit sich bringt. Dabei wird es seinem Anspruch voll gerecht: Es bietet nicht mehr und nicht weniger als eine umfassene Behandlung und Dokumentation des Paragraphen im Wandel der Zeit. Und es weist auch die Schwierigkeiten der Gesetzgeber bei Schaffung und genauer Definition dieses Strafkonstrukts auf: Ist die „beischlafähnliche Handlung“, also die anale Penetration, die Straftat oder gereicht schon die orale Befriedigung zum Eintreten des Gesetzesfalls? Um in das weite Spektrum mann-männlicher Zuneigung und die diversen Formen schwuler Sexualität einen Keil zu treiben und ihn zur Scheidung des Sündhaft-Bösen vom Tolerierbaren zu benutzen, bedarf es eines nicht auszumachenden qualitativen Unterschieds. So begaben sich die Sittenwächter und Moralprediger, verkleidet als Juristen, Ärzte und Psychologen in die aberwitzigsten Verrenkungen, die die Schwulen hätte erheitern können, wäre diese Absurdität nicht existenzbedrohend und -vernichtend gewesen. Auch wenn die Bedrohung durch den §175 in letzter Zeit marginal war und durch die Gefahr von Aids und antischwuler Gewalt auf Straßen und Klappen in den Schatten gestellt wurde, so wurden zum Beispiel 1959 noch 3.530 Männer nach §175 StGB verurteilt. Sachlich werden die „Rationalisierungen unerträglicher Affekte“ (Martin Dannecker) der Schwulenhasser und haltlosen Begründung für die Kriminalisierung der Homosexualität chronologisch aufgeführt, um dann ihrer antischwulen Motivation überführt zu werden und an den banalsten Anforderungen der Logik zu zerschellen.

Die Qualität des Buches liegt nicht darin, das neue, alle Einwände zerschlagende Argument zur Abschaffung zu liefern: Es gibt keine ernstzunehmenden Einwände mehr. Aber dies in all seiner Konsequenz aufzuzeigen, ist der nicht geringe Verdienst der Autoren. Und doch beschleicht den Leser bei der Lektüre das vage Gefühl, etwas zu vermissen. So irritiert zum Beispiel im Beitrag zur Weimarer Republik, daß sich der Kampf anscheinend von Verwaltungsebene zu Verwaltungsebene verschoben hat. Aber nie gesellschaftlich, außerparlamentarisch geführt oder diskutiert wurde. Die Geschichte der Schwulenbewegung reduziert sich nicht nur auf Paragraphen.

Die Schwierigkeit des Kampfes gegen den §175 ist, daß im Zuge der Argumentation der Streiter selbst der Logik dieses Denk- und Strafsystems anheimfällt. Nur so ist es nachvollziehbar, daß Teile der Bewegung dem Fall des §175 entgegenjubeln und alle weiteren Ausgaben in der „Forderung nach Legalisierung der schwulen Ehe und einem Antidiskriminierungsgesetz“ sehen. Sie sind Gefangene eines technokratisch-rationalistischen Denksystems geworden und übersehen, daß Emanzipationsansätze gesellschaftlich, nicht juristisch zu verwirklichen sind.

Ein Mann über achtzehn Jahre, der sexuelle Handlungen an einem Mann unter achtzehn Jahren vornimmt oder an sich vornehmen läßt, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. §175 StBG, Absatz 1

Hier zeigt sich, woran das deutsche Politikverständnis — auch das schwule — generell krankt: Die Verrechtlichung der Politik, der Glaube an die originäre Macht der Paragraphen. Wieder werden Ursache uns Symptom. Ausdruck verwechselt.

Dies erkannt und in seiner Arbeit auch verarbeitet zu haben, kann man wiederum Ralf Dose zugute halten. Seine Gliederung im Beitrag zur BRD gibt sich nicht nur mit dem gerichtlichen und parlamentarischen Rahmen zufrieden, sondern fügt den wichtigen Teil über die öffentliche Diskussion und die Schwulenbewegung bei. Nur so machen auch die ersten beiden Sinn.

Der unseligen Existenz des 175er scheint nun aber doch ein Ende zu läuten: Die liberalkonservative Koalition aus Bonn plant die Streichung. So kann die Schwulenbewegung sich nicht einmal dies auf ihre Fahnen schreiben, denn der §175 fällt aus Gründen der Rechtsangleichung, nicht etwa der plötzlichen Eingebung willen. So entledigt sich die BRD eines Teils ihres faschistischen Erbes, was aber die gesamte Erblast wohl kaum schmälern wird. Dirk O. Evenson

Die Geschichte des §175 — Strafrecht gegen Homosexuelle. Katalog zur Ausstellung in Berlin und Frankfurt am Main 1991. Herausgegeben von den „Freunden eines schwulen Museums e.V.“ in Zusammenarbeit mit „Emanzipation e.V.“ in Frankfurt am Main. Mit Beiträgen von Bernd-Ulrich Hergemöller, Manfred Herzer, Günter Dworek, Jörg Hutter, Bodo Mende, Günter Grau, Ralf Dose, Bert Thinius und Manfred Bruns. Verlag Rosa Winkel 1990, 175 Seiten, 17,50 D-Mark. Die Ausstellung ist bis Ende dieser Woche zu besichtigen.

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