piwik no script img

Beschleunigungsgesetz ohne Tempolimit

■ Bundesverkehrsminister Krause mit Maßnahmegesetzen im Kabinett/ Sein dreistufiges Verkehrskonzept: Kondensstreifen beim Planen/ Verbände für Beschleunigung ausgebootet/ Bundesverkehrswege-Plan zum Jahresende

Berlin (taz) — Bundesverkehrsminister Günther Krause, Küstenmensch von der Ostsee, sieht sich bei der Ausrichtung des bundesdeutschen Verkehrs in Ost-West-Richtung einer rauhen westlichen Brise ausgesetzt. Umweltverbände, Naturschützer und Bürgerinitiativen laufen Sturm gegen die neue Verkehrspolitik. Sie wollen keine Beschleunigung im Grundrechteabbau für den Straßenbau — sie wollen, einen schnellen Eisenbahnbau.

Am Dienstag brachte Krause dennoch den ersten Teil seines dreistufigen Pakets durchs Kabinett: Die Bonner Kabinettsrunde erteilte dem Neuling aus dem Osten das grundsätzliche Plazet für 17 sogenannte Maßnahmegesetze.

Investitionen von 56 Milliarden Mark sollen das Ost-West-Transitland Bundesrepublik in der neuen Mitte Europas möglich machen. Und Krause, die Bedenken gegen die Asphaltierung im Kopf, versucht die neuen Schienenstrecken als „Trendwende“ zum Vorrang der Schiene zu verkaufen.

Ende April soll als Teil zwei der Entwurf eines Beschleunigungsgesetzes von den Ministern verabschiedet werden. Bis zum Jahresende will Krause schließlich den neuen Bundesverkehrswege-Plan erstellen.

Mit den Maßnahmegesetzen kann der Gesetzgeber selbst einzelne Autobahnen oder Eisenbahnstrecken bis in die Planungsdetails in Gesetzesform gießen und beschließen. Jegliche direkte Mitwirkung an den Planungen durch die Bürger entfällt. Nach dem Kabinettsbeschluß will Krause mit „Hochdruck“ die ingenieurmäßigen Planungen der Projekte voranbringen, hieß es im Ministerium. „Super“ wäre es, wenn ein erstes Vorzeigeprojekt Ende des Jahres von den Ingenieuren „vollzugsreif“ durchgeplant und vom Bundestag verabschiedet werden könnte.

Um juristisch wasserdichte Konstruktionen für die brisanten Grundrechtseinschränkungen im Maßnahmegesetz hatte sich zum Jahresbeginn ein anderer Kabinettseleve gekümmert: Justizminister Klaus Kinkel hatte Ende Februar forsch festgestellt, daß der Osten nur vor dem Verkehrsinfarkt gerettet werden kann, wenn „der Gesetzgeber die für Bauvorhaben im Verkehrswesen erforderliche Planfeststellungen und die Enteignung der dafür nötigen Grundstücke selbst vornimmt“. Katastrophenszenarien sind offenbar eine conditio sine qua non für die Gesetzesvorhaben. Der Präzedenzfall, der vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hatte und auf den sich Kinkel beruft, ist das Hamburger Deichordnungsgesetz — ein Notgesetz, das nach der großen Sturmflut in der Hansestadt entstand.

Die Geschwindigkeit, mit der die neuen Verkehrswege gebaut werden sollen, hat auch das Gesetzgebungsverfahren selbst ergriffen. Teil zwei des Pakets, das Beschleunigungsgesetz, wird im Augenblick mit Hochdruck durch die Gremien gepeitscht. Die Verbände fühlen sich im Gesetzgebungsverfahren ausgebootet. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz in Deutschland (BUND) bekam den neuesten Entwurf vom 15. März erst am 2. April — die Stellungnahme erwarten die Ministerialbeamten aber schon am 12. April. Beim Zentralverband der Deutschen Haus-, Wohnungs-, und Grundeigentümer ging der Entwurf sogar erst am vergangenen Freitag, dem 5. April ein. „Demokratische Gepflogenheiten“ seien verletzt, schimpften die Hausbesitzer. Das „Recht der Anhörung“ werde so zur „Leerformel“.

Dabei wird das Beschleunigungsgesetz, wenn verabschiedet, zur Bibel der neuen Verkehrspolitik werden. Alle Bundesverkehrswege und sogar Flughäfen (mit Außnahme der 17 Vorzugsprojekten, für die die Bonner Abgeordneten ihre Hand heben sollen) in der Ex-DDR könnten damit erheblich schneller als bisher gebaut werden können. Statt Planungszeiten von zehn bis 20 Jahren sollen dann drei bis fünf Jahre bis zum ersten Spatenstich reichen. Beteiligungsmöglichkeiten für Kommunen und Länder sollen dafür verkürzt, der Klageweg für betroffene Bürger auf das Bundesverwaltungsgericht beschränkt und Trassen auch ohne rechtskräftige Enteignung gebaut werden können. Paragraph 1 des Gesetzentwurfs erlaubt sogar die Ausweitung der Regelung auf Verkehrswege vom Osten in die „Wirtschaftszentren des übrigen Bundesgebietes“. Betroffen davon: Die Autobahn 4 von Thüringen durchs Sauerland nach Köln. In NRW hat die FDP bereits an die Fortführung der A4 durch den Nationalpark Rothaargebirge gedacht — begründet mit der veränderten Lage in Osteuropa.

Noch im April sähe Krause den Entwurf gern im Kabinett. Wenn möglich soll der Bundestag die Beschleunigungsbibel noch vor der Sommerpause absegnen.

Unterdessen machen erstmals auch im Osten Bürgerinitiativen und Ökologen gegen den Verkehrsausbau mobil. In Brandenburg haben alle maßgeblichen Umweltverbände von Verkehrsclub für Deutschland (VCD) über Eisenbahnbürgerinitiativen bis zum BUND und zur Grünen Liga die Verhinderung der Asphaltierungsorgie auf ihre Fahnen geschrieben. Entsetzt zeigten sich auf einem Kongreß in Leipzig Sprecher ostdeutscher Verkehrsinitiativen. Frithjof Mothes von den „Ökolöwen“ Leipzig, einer der Sprecher der Initiativen schimpfte, hier sollten offensichtliche „demokratische Rechte sogleich wieder in alter SED- Manier eingeschränkt werden“. Dieses „Ermächtigungsgesetz“ sei ein „Schnellgericht gegen die Umwelt“, schäumte Mothes. Geradezu „grotesk“ sei die Aushebelung des Eigentumsrechts durch „Enteignungen im Schnellverfahren“.

Was sich im Beschleunigungsgesetz natürlich nicht findet — die geplanten Anwendungen. Autobahnen, Bundesstraßen und Ortsumgehungen verzeichnet nämlich erst der neue gesamtdeutsche Bundesverkehrswegeplan. Den wollen die Beamten Ende 1991 vorlegen. Die Verkehrsverhältnisse im Osten verbessern, darüber besteht auch mit den Initiativen wenig Streit. Doch das Beschleunigungsgesetz sehen sie als Blankovollmacht. Erst nach dem Bundesverkehrswegeplan darf jede(r) wissen, ob damit das Reichsbahnnetz mit Hochdruck und flächendeckend modernisiert werden soll, oder sein/ihr Vorgarten für eine Autobahn enteignet wird. Im Frühjahr 1992 soll der Plan, der erste seit 1985, im Bundestag beschlossen werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen