: Der leise, zähe Kampf der „Arbresh“ in Italien
Die albanische Minderheit in Süditalien hat die starke Stellung der Frau ebenso bewahrt wie ihre Religion und deren Riten/ Kulturpflege ist nach ihrer Auffassung auch ohne Bombenattentate und Anschläge auf den italienischen Staat möglich ■ Von Werner Raith
Wenn Signora Rosetta auftritt, die Wirtin der „Donna Rosa“ in Spezzano am Nordrand Kalabriens, weiß auch der Sprachunkundigste, wer das Kommando führt. Hier nehmen die Frauen kein Blatt vor den Mund, kuschen auch nicht vor noch so lauten Appellrufen, tragen eine geradezu beneidenswerte Selbständigkeit zur Schau. Als Ironie gedachte Sprüche ihres Mannes wie: „Könnt ihr mir nicht ein paar deutsche, sehr junge, sehr schöne Mädchen zum Servieren verschaffen?“ quittiert Frau Rosetta mit einem müden Blick zur Wand, wo ein Plakat der Marylin Monroe mit Seidenstrümpfen hängt: „Wenn der einen Rock sieht...“ Der Mann trollt sich: Er hat gelernt, daß er das letzte Wort nicht hat. Fragen italienischer Restaurantbesucher, warum das Lokal nicht, wie sich's hier gehört, „Zia Rosa“, Tante Rosa heißt, sondern „Frau Rosa“, bedenkt er mit einer vielsagenden Geste hin zu seiner Gemahlin.
Die sagt: „Tante gilt hier eher als geschlechtsloses Wesen; ich bin aber eine Frau, und gerne. Zehn Jahre habe ich — ich! — in der Schweiz geschuftet, als Fabrikarbeiterin, um das Geld zu verdienen, mit dem ich das Lokal hier aufgebaut habe. Warum sollte ich mich verstecken?“
Donna Rosa fühlt sich nur zum Teil als Italienerin: Sie stammt, wie alle in der 8.000-Einwohner-Stadt, von Albanern ab, die im 16. Jahrhundert nach der Niederlage des legendären Heerführers Skanderberg nach Italien ausrissen und von den Bourbonen sumpfige Täler oder karstige Bergzonen als Wohnsitz zugewiesen bekommen haben. Das hat ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl in den rund 70 Albaner-Dörfern in Kalabrien und 30 Siedlungen in Sizilien geschaffen — zumal die (heute gut 100.000) „Arbresh“, wie die Albaner sich selbst nennen, immer stark aufeinander angewiesen waren im Kampf gegen die Natur oder gegen die Ausbeuter des Feudalwesens.
Die Immigranten des 16. Jahrhunderts haben ihr Heil in einer starrköpfigen Aufrechterhaltung der mitgebrachten Kultur gesucht. Sie haben die starke Stellung der Frau in der Gesellschaft ebenso bewahrt wie ihre Religion und Riten (viele von ihnen sind griechisch-orthodoxer, andere armenischer, wieder andere koptischer Konfession), feiern ihre Festtage, pflegen ihre Bräuche — und, vor allem, ihre Sprache. „All dies geschieht auf eine so unauffällige, aber zähe Art, daß wir kulturell heute nahezu dieselben Rechte besitzen wie die deutschsprachige Minderheit in Südtirol“, stellt Don Alberto, ein koptischer Priester, stolz fest, und zwar „ohne daß wir dafür Bombenattentate benötigt hätten.“ Oder eine starke nachbarliche Schutzmacht, wie die frankophone Bevölkerung des oberitalienischen Aostatals.
Seit fünf Jahren sind in Orten wie Piana degli Albanesi, Terranova di Pollino oder S. Costatino Albenese die Orts- und Hinweisschilder, die Ämterbezeichnungen und in einigen Gemeinden sogar die Straßennamen zweisprachig, auf Albanisch und Italienisch, und niemand verwehrt es den Lehrern, ihren Schülern neben Italienisch auch die Sprache ihrer Vorfahren korrekt beizubringen.
Ab und an gibt es allerdings eigentümliche Probleme: Verschiedene Orte, räumlich durch tiefe Täler getrennt, haben ihre im 16. Jahrhundert aus Albanien mitgebrachten Dialekte weiter- und damit voneinander wegentwickelt. Albanische Konsulatsbeamte müssen sich mit den „Albanesi“ oft auf Italienisch unterhalten, weil die Worte zu stark voneinander abweichen. Die Verständigung mit den derzeit herein-„flutenden“ Flüchtlingen aus Albanien klappt dennoch recht gut — allerdings auch deshalb, weil viele der Flüchtlinge etwas Italienisch beherrschen, Frucht des italienischen Fernsehens.
Südlich der Albaner-Hauptregion, an den Hängen des Aspromonte, versucht derzeit eine andere Minderheit, ihre eigene Kultur und Sprache neben oder sogar vor die italienische zu setzen: Dort leben 30.000 Griechisch-Stämmige, Nachfahren der antiken Besetzung der „Magna Graeca“ und der Byzantischen Reichsteile im frühen Mittelalter. Erfolgreiche ethnische Autonomie macht auch anderen Mut.
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