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Uneinigkeit in der Frage der Enklaven

Aga Khan von de Cuellar zum „leitenden Beauftragten für das humanitäre UNO-Programm ernannt  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Nach skeptischen Reaktionen aus Washington wurden die Chancen für die baldige Einrichtung von Schutzzonen (Enklaven) für die verfolgten Kurden im Irak gestern sowohl bei der UNO wie in zahlreichen Hauptstädten skeptischer als noch am Vortag beurteilt. Sprecher der Kurden erklärten, entsprechende Maßnahmen seien dringend erforderlich. Während die internationalen Hilfsorgnisationen die Lage im Nordirak und in den Grenzgebieten zur Türkei und zum Iran weiterhin als dramatisch bezeichneten, behauptete Bagdad, es herrsche dort „keine Not“. Zur Bestandsaufnahme der Situation der Kurden und zur Prüfung der „Machbarkeit“ von Enklaven trifft morgen im Auftrag von UNO-Generalsekretär Perez de Cuellar der ehemalige Generaldirektor des Genfer UNO-Büros, der belgische Jurist Eric Suy, in den kurdischen Gebieten ein. De Cuellar ernannte außerdem den früheren UNO-Flüchtlingshochkommissar Sadruddin Aga Khan zu seinem „leitenden Beauftragten“ für das humanitäre Programm der Vereinten Nationen in der Golfregion. EG-Ratspräsident Santer und Kommissionspräsident Delors erläuterten gestern in New York und Washington den Schutzzonenvorschlag gegenüber der UNO und der US-Regierung. In offiziellen und inoffiziellen Äußerungen ließen US-Regierungsbeamte gestern durchblicken, sie hielten die EG-Initiative zwar für „erwägenswert“, bezweifelten aber seine Erfolgsaussichten. Die von der britischen Regierung vertretene Position, eine solche Maßnahme sowie der Einsatz von UNO-Truppen zu ihrer Durchsetzung seien bereits durch die am Samstag verabschiedete Resolution 688 des UNO-Sicherheitsrates gedeckt, findet in der Bush-Administration wenig Unterstützung. Hierfür sei eine neue Resolution notwendig, hieß es in Washington. Die Chancen hierfür schätzen die USA jedoch gering ein, weil sie mit einem Veto Chinas und wahrscheinlich auch der UdSSR rechnen. Der offizielle Sprecher der kurdischen Flüchtlinge in der Türkei, Akram Madschi, erklärte gestern in Bern, die Errichtung von Enklaven sei dringend erforderlich. Diese Kurden sollten unter UNO-Obhut stehen, doch von den Kurden selbst verwaltet werden. Langfristig sei ein internationales Abkommen zur Lösung der Kurdenfrage unerläßlich. Diese dürfe „keinesfalls der Willkürherrschaft“ der irakischen Behörden überlassen bleiben. Madschi kritisierte erneut scharf, daß die noch im Irak stationierten Streitkräfte der USA und ihrer Alliierten „nichts gegen die irakischen Luftangriffe auf die Zivilbevölkerung“ unternähmen. Für die Einrichtung von Zonen zum Schutz der unmittelbar bedrohten Flüchtlinge sprach sich auch die neue Flüchtlingshochkommissarin der UNO, Sadako Ogata, aus. VertreterInnen des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK) und des UNO- Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) in Genf bezeichneten die Lage im Nordirak wie im Süden des Landes als „dramatisch und besorgniserregend“. Die Lebensmittel seien knapp und es herrsche „akuter Wassermangel“. Laut UNHCR waren bis Dienstag abend 771.850 irakische Flüchtlinge im Iran und über 400.000 in der Türkei eingetroffen. In Ankara erklärte der dortige Koordinator für die UNO-Hilfsmaßnahmen, Edmund Cain, fast 300.000 an der türkischen Grenze gestrandete Flüchtlinge seien in „ernster Gefahr, an Erschöpfung und Erfrierungen zu sterben“.

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