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■ Carter The Unstoppable Sexmachine
Gegeben sind: England, Golfkrieg, Gitarren, Pop, Pet Shop Boys, Politik, Shakespeare und eine Band mit ziemlich blödem Namen.
England: bekommt ja bald den Tunnel inklusive europäischer Preisliste aufgedrückt und im Gegenzug den letzten bärbeißigen Inselcharme abgekauft. Was vorher Volk, Kultur, Pub und Punk war, geht mit designtem Essen aus der Tube verloren. Die blaßpickeligen Hosenverkäufer und Sekretärinnen von der Oxfordstraße bekommen es mit Bioschlemmerei und Vitaminpräparaten besorgt. Wer das alte England liebt, Fish & Chips mit flockendem Essig und etwas später dann quietschfideles schaumloses Bier aus Schläuchen, das einem die Blase brodeln läßt, wird Carter mögen. Denn Carter wachen über old England, und London's Calling.
Golfkrieg: war nicht der einzige, wird nicht der letzte gewesen sein und hat dennoch den Menschen mehr Angst bereitet als Vietnam und Weltkrieg zusammen. Weil niemand mehr verstanden hat, worum es dabei eigentlich gehen sollte, weil alle nichts gewußt haben, aber viele Bilder kannten, die sich am Ende als verkühlte Videos der Macht herausgestellt haben. Gegen und von sowas singen Carter, weil sie das auch nicht verstanden haben, und da nochmal nachfragen wollten bei Seargent Kirby.
Gitarren: sind mal laut mal leise, verzerrt oder glasklar, elektrisch oder akustisch. Carters Jim Bob und Fruitbat spielen beide nur das eine, Gitarre links, Gitarre rechts. Ansonsten tuckert eine Maschine für den Rhythmus und ein Tonband versorgt sie mit Orchester- oder Chorbeiwerk zwischen Minimalfolkpunk und Eurodisco. Deshalb können Jim Bob und Fruitbat schön viel wild herumspringen auf der Bühne. Denn auf Maschinen ist im größten Tohuwabohu noch Verlaß. Außerdem kommen sie pünktlich zur Probe.
Pop: kann man nach wie vor in England besser als woanders fabrizieren. Trotz Biomüll und lauem Lager haben Sekretärinnen und Hosenverkäufer irgendwann Feierabend, und den gestalten sie modern. Während ein Jahr ins Land zieht können sie nacheinander jeden erdenklichen Spaß haben mit Rave, Hip House, Acid Jazz, Rave, Techno, Ragamuffin, Rave, und wenn gar nichts mehr geht, mit Jason Donovan. Oder mit Carter, denn sie sind alles zusammen. Sehr modern.
Pet Shop Boys: spielen leider erst nächste Woche, sind aber noch nicht ganz ausverkauft. Vielleicht covern Carter heute schon, wenn sie besonders gute Laune haben, einen Song des anderen guten Duos. Vielleicht spielen aber auch die Pet Shops demnächst in der Deutschlandhalle Carters' »Bloodsport for All«. Vielleicht sind Carter aber auch die Pet Shop Boys und tragen deshalb Langustenmasken zur Tarnung. Dann werden aber beide Sonntage wunderschön.
Politik: muß man sich drum kümmern, weil sich sonst die Mittelschicht dort einnistet bis ans Ende ihrer Tage, die kommen werden, wenn man sich nur darum kümmert. In England meint Politik eigentlich schon seit Jahren working class. Deshalb liest man nicht die »Times« sondern die »Sun«, geht nicht in den Cineastenclub, sondern glotzt Fernsehen und vertraut nicht der Meinung, sondern der Menge. Da versteht es sich natürlich von selbst, daß der »Sun«-Kolumnist Jonathan King die Carter mag. Die Carter mögen ihn jedoch nicht, weshalb sie natürlich diejenigen mögen, die Kings Kolumnen lesen. Das sind viele. So macht man Politik.
Shakespeare: finden immer noch alle voll gut auf der Insel. Anders als Goethe hierzulande. Das mag daran liegen, das sich da eine Sprache lebendig gehalten hat, die dem Gefühl so nahe steht wie dem Verstand. Und witzig ist sie auch. Carter reimen wie Shakespeare es erdachte: »If music be the food of love, play on words!«. Dazu Carter: »You win some and you lose some and I've lost the will to lose«(Falling on a bruise). Oder: »It's a victory worth sharing we should celebrate I think, with the bloodiest of Marys but I'm too fucked to drink« (The final Comedown). Oder einfach: »spend your money girls on sprays and lipsticks, tested on bunnies, girls, strays and misfits« (Shopper's Paradise). Da muß niemand mehr Morrisey vermissen, denn Carter dichtet einfach.
Der blöde Name: wird, egal wie man es dreht und wendet nicht besser. Aber die Band ist großartig. (Um 20.30 Uhr im Loft) Harald Fricke (Foto: Liane Hentscher)
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