DOKUMENTATION: „Israel muß sich dem Willen der Weltgemeinschaft beugen“
■ In ihrem Schreiben an James Baker verlangten die Palästinenserführer eine härtere Haltung der USA gegen Israels Verweigerungspolitik
Die PLO, unsere einzige legitime Vertreterin, hat ihr ehrliches Bemühen gezeigt, den palästinensisch-israelischen Konflikt friedlich beizulegen und die Sache des Friedens durch Verhandlungen und Dialog voranzutreiben. Zu diesem Zweck hat die PLO positiv auf Ihren vergangenen Besuch hier vor drei Wochen reagiert, indem sie eine Gruppe von Palästinensern aus den besetzten Gebieten delegiert hat, um mit Ihnen zusammenzutreffen und ernsthaft und offen über einige zentrale Themen zu diskutieren und die essentiellen Fragen zur Sprache zu bringen, die unerläßlich sind, um den Friedensprozeß auf eine solide Grundlage zu stellen. Diese Anstrengungen wurden von der PLO auch in Washington durch ein Treffen eines Palästinensers aus den besetzten Gebieten mit hochrangigen Beamten des State Department und des Nationalen Sicherheitsrats weiter verfolgt.
„Das Treffen mit Baker darf nicht zum Selbstzweck werden“
Eines der dringlichsten Themen ist die volle Anerkennung der PLO als Vertreterin des palästinensischen Volkes. Alle Versuche, ihre Legitimität zu unterminieren oder zu negieren und eine künstliche „alternative Führung“ zu konstruieren, sind aussichtslos und kontraproduktiv. Um in dem Friedensprozeß greifbare Resultate zu erreichen, ist in diesem Rahmen die Wiederaufnahme des Dialogs zwischen den USA und der PLO ein unumgängliches Element — insbesondere angesichts der unabhängigen Entscheidung der Palästinenser über ihre legitimen und glaubwürdigen Sprecher.
Aus dieser Perspektive und in Übereinstimmung mit der PLO-Politik des Dialogs und der offenen Kommunikation haben wir ein ernstes Interesse an dem Erfolg des anvisierten Treffens mit Ihnen. Dabei geht es uns aber um die Substanz, und nicht um die Form. Wir sind überzeugt, daß jedes Treffen dieser Art qualititative Fortschritte in ganz konkreten Schritten bringen muß; das Treffen darf nicht zum Selbstzweck werden.
An oberster Stelle der hier angesprochenen Themen steht der dringende Appell an die US-Regierung, sich den brutalen israelischen Maßnahmen gegen Leben, Rechte, Land und Ressourcen des palästinensischen Volkes unter israelischer Besatzung zuzuwenden. Israels Politik der Unnachgiebigkeit und der Verschleppung, des sich Verschanzens in Schützengräben und des Schaffens von Fakten, ist nicht nur ein krasser Bruch des internationalen Rechts, sondern auch eine aktive Verneinung aller Friedensinitiativen. Sie unterminiert jeglichen politischen Fortschritt und zerstört alle Aussichten auf Frieden in der Region.
„Es ist unumgänglich, daß Washington den Dialog mit der PLO wieder aufnimmt“
Israels besessene Intensivierung der Besiedlungspolitik, die verschärfte Konfiszierung von Land und Ressourcen des palästinensischen Volkes unter israelischer Besatzung, die Eskalation der „Politik der eisernen Faust“ mit Verhaftungen, Ermordungen, den geschlossenen Gebieten und Ausgangssperren, der wirtschaftlichen Strangulierung, dem Schließen von Institutionen und alle anderen Formen kollektiver Bestrafung stellen zusammen die wirkliche israelische Antwort auf Frieden dar. Diese „vertrauensbildenden Maßnahmen“ zerstören die Rechte und die Realität der Palästinenser und zerschlagen jeden möglichen Glauben in einen gerechten und ausgewogenen Friedensprozeß, wenn dieser in seinem frühen Stadium nicht in der Lage ist, diese moralisch und politisch verabscheuungswürdige Wirklichkeit zu ändern. Solange Israel nicht zu einem Ende dieser Politik gebracht wird, wird kein Palästinenser in der Lage sein, politische Treffen durchzuführen oder Initiativen voranzutreiben. Es ist offensichtlich, daß die israelische Politik der Konfiszierungen und der Ausdehnung der Siedlungen [in den besetzten Gebieten] völlig unvereinbar ist mit jedem Versuch, einen Friedensprozeß zu beginnen.
„Israel hält den Friedensprozeß als Geisel seiner Pläne“
Israel hält immer noch den Friedensprozeß als Geisel seiner eigenen Pläne: Entweder es unterwirft ihn seinen eigennützigen Bedingungen; oder es beharrt auf seiner Weigerung, sich dem Willen der Weltgemeinschaft unterzuordnen, wie er in den UN-Resolutionen 242 und 338 zum Ausdruck kommt und wie er von Präsident Bush auf der Basis des Prinzips „Land für Frieden“ wiederholt worden ist. Sowohl die prinzipielle wie auch die praktische Politik Israels blockieren und zerstören so die Chancen für eine echte Friedenslösung. Israel muß für beides verantwortlich gemacht und dazu gebracht werden, die Resolutionen der Weltgemeinschaft zu erfüllen. Israel muß die weltweiten Prinzipien des Friedens und der Gerechtigkeit befolgen und den konkreten Imperativen des gegenwärtigen Friedensprozesses und seinen erklärten Zielen nachkommen.
Im Gegensatz dazu hat die PLO als Vertreterin des palästinensischen Volkes ihre ehrliche Bereitschaft zum Frieden gezeigt und auch in einer flexiblen und verantwortlichen Weise agiert. Anstatt weitere Konzessionen oder Vorschläge von den Palästinensern zu fordern, ist es jetzt an der Zeit, daß die USA das Problem der Weigerung und Unnachgiebigkeit Israels ernsthaft angehen, da diese das wirkliche Hindernis für Frieden sind. Die asymmetrische Fortführung dieses Prozesses ist weder ausgewogen noch wird sie zu Ergebnissen führen; vielmehr wird das Ungleichgewicht unvermeidlich den ganzen Friedensprozeß zum Kentern bringen.
Der anvisierte Friedensprozeß läuft zusätzlich Gefahr, wenn der von den USA vorgeschlagene „zweigleisige“ Ansatz asynchron und mit falschen Prioritäten geführt wird. Ein umfassender, integraler Ansatz ist wünschenswerter und praktikabler; er erfordert regionale und internationale Partizipation und Garantien. Jede Form von Friedenskonferenz muß auf Parität und Respekt für die Souveränität einer jeden Partei, der internationalen Strukturen und Legitimität basieren.
Alle Phasen des Friedensprozesses müssen klar als Zwischenschritte im Rahmen eines umfassenden Prozesses konzipiert sein, der der Logik der internen Kohärenz und Kausalität folgt und zu den definierten Zielen der Unabhängigkeit und Staatlichkeit, zu Sicherheit und echter regionaler Stabilität und Entwicklung führt.
Die hier aufgelisteten Themen versuchen, die Substanz eines jeden Treffens zu benennen und echten qualitativen Fortschritt zu sichern, anstatt nur dem Ritual oder der Form genüge zu tun. Wir bleiben gewillt, die PLO-Politik der aktiven Friedenssuche weiter zu verfolgen — aber nicht auf Kosten unserer nationalen Rechte und auch nicht, während Israel auf seiner unmenschlichen und illegalen Politik beharrt. Unser vordringliches Anliegen ist in diesem Augenblick die Notlage des palästinensischen Volkes unter der israelischen Besatzung — eine drängende Frage des Überlebens, die keine weitere Mißachtung oder Aufschub verträgt.
Ost-Jerusalem, den 9.4.1991
Für die beteiligten Palästinenser,
Faisal al-Husseini
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