: Die Wellenempfängerin
■ »Lichttontanz« von Dana Reitz im Hebbeltheater
Bewegungen fliegen Dana Reitz zu von ich-weiß-nicht-woher. Sie taumelt ohne Angst vor dem Fall. Scheinbar unkontrollierbare Energieströme pulsieren durch ihren nachgiebigen Körper, der sich sanft aus seiner Linie drängen läßt, in Kurven ausweicht und geschmeidig zurückkehrt. Leicht pendeln ihre Glieder aus Fuß- und Kniegelenken, aus Hüfte und Schulter, stets bereit von der eingeschlagenen Richtung abzudrehen, Haken zu schlagen, schlängelnd einen neuen Weg zu probieren. Der Kopf schwebt auf den Halswirbeln, folgt wie ein Luftballon an der Schnur der Wirbelsäule dem Körper.
Sicherlich ist es nur ein Zufall, daß ich kurz vor dem Besuch der Aufführung des Lichttontanzes der amerikanischen Tänzerin und Choreographin Dana Reitz im Radio zum erstenmal von einer neuen Theorie einer Form des Animismus gehört habe. Hängengeblieben ist bei mir die These eines englischen Wissenschaftlers, der behauptet, daß jeder Gestaltungsprozeß Schwingungen auslöse, die von einem bisher nicht nachweisbaren Speicher aufgefangen und bei der Wiederholung der gleichen Gestaltungsaufgabe als Orientierungsmuster benutzt werden.
Ein Teil dieses großen Gedächtnisses von Natur und Kultur manifestiert sich für mich im Tanz von Dana Reitz. Schallwellen, Lichtwellen, Vibrieren der Nerven, unregelmäßige Signale... für alles scheint sie empfänglich. Wie ein Schlinggewächs unter Wasser gibt sie Strömungen nach. Die Sprache ihrer bewegten Arme gleicht einem entfernten Echo zu den Gesten der Taubstummen, zu einer expressiven Pantomime, die aber zur Unlesbarkeit verkürzt und vom Ballast der Emotionen befreit zurückkehrt.
Der Lichttontanz ist die zweite Produktion, in der die Choreographin mit der Licht-Designerin Jennifer Tipton und dem Ton-Installateur Hans Peter Kuhn zusammenarbeitet. Über im Zuschauerraum verteilte Boxen erzeugt Kuhn Klangbilder, die mit der Annäherung und Entfernung von akustischen Phänomenen ein Gleiten und Jagen durch den Raum suggerieren. Rieselndes Wasser, hölzernes Klacken, Kiesknirschen, entfernte Orchester, verfremdete Rufe von Arbeitern oder Jägern: assoziativ lösen die Geräusche Bilder von Umgebungen aus, die unmerklich ineinander übergleiten. Ein schnarchender Laut entfaltet sich zu einem intimen Summen, der Atem bläht sich akustisch zu einem starken Wind auf: die Vergrößerung der Töne suggeriert eine Verkleinerung des visuellen Geschehens. Die Tänzerin taucht in den Mikrokosmos einer riesigen Gesichtslandschaft unter. Unheimliches Dröhnen schwillt an und plötzlich steht man unter einer Eisenbahnbrücke: das Rattern der Räder treibt die Tänzerin voran, sie läuft gegen den Spin der Drehbühne, bis sie sich mit einem Sprung nach außen retten kann. Die Drehbühne, die oft aus großer Höhe sich ergießenden Lichtkegel und Stäbe sind die einzigen Hilfsmittel, die Dana Reitz zur Akzentuierung ihres Bewegungsflusses nutzt. In der Mitte der Drehbühne schafft sie es, mit einer unmerklichen Gegensteuerung Momente der Ruhe vorzustellen; je mehr sie sich dem Rand der drehenden Scheibe nähert, desto schneller muß sie gegen deren Geschwindigkeit angehen. Dadurch entsteht ein merkwürdiger Eindruck: ob sie gegen die Scheibe läuft oder mit ihren Schritten erst deren Drehung auslöst, ist kaum mehr auszumachen. Ebenso wirken die Stangen in ihren Händen wie magisch durch den Raum kreiselnde Zauberstäbe, denen sie nur nachfolgt. Katrin Bettina Müller
Lichttontanz von Dana Reitz, Jennifer Tipton, Hans Peter Kuhn, koproduziert vom Hebbel-Theater, dem Pariser Festival d‘Automne und dem Brüsseler Kaaitheater, im Hebbeltheater am 14., 16. und 19. April, jeweils um 20.00 Uhr.
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