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Schwindel auf der Leiter

■ Das Wiener Jura-Soyfer-Theater in der Theatermanufaktur

Wirklich überzeugen konnte nur die dreiköpfige »Astorische Jazzband«, wobei sich insbesondere der mittlere, leicht angejahrte, kleinwüchsige Herr am Harmonium hervortat, der beflissen und einsatzfreudig die Tasten schlug, als könnte Meister Weill mit epigonalen Arrangements noch einmal wiedererweckt werden. Als Rosa im Publikum sitzend vom kleinen Glück im Winkel singt und sich dafür einen älteren, zuverlässigen, lieben Mann zum Hendlzüchten wünscht, stehen die Musiker alle auf und versuchen sich bemerkbar zu machen: Aber es war ja doch ein anderer, nämlich der zu astorischen Ehren gekommene Landstreicher Hupka, gemeint. Nur hier wird einmal das Rollenspiel durchbrochen, Leben und Theater sind eins. Ansonsten sieht man in der Inszenierung des Jura-Soyfer-Stücks Astoria, mit Schauspielern des Wiener Jura-Soyfer-Theaters, aber unter der Regie von Ilse Scheer und im Bühnenbild von Otto Zonschitz (beide Theatermanufaktur) Schauspieler des Wiener Jura-Soyfer-Theaters, aber unter der Regie von Ilse Scheer usw. Mehr nicht. Und das hat Jura Soyfer doch eigentlich nicht verdient.

Kaum einer hat es wohl besser verstanden, Kleinkunst mit politischem Witz zu verknüpfen und doch zu sein, was die Deutschen unter Dichter verstehen. Das Stück Astoria, das 1937 in Wien entstand, ein Jahr bevor Soyfer ins KZ Dachau verschleppt wurde und zwei Jahre vor seinem Tod im Lager, handelt von einem Staat, den es gar nicht gibt; der aus einer Laune heraus entstand und die Masse so von sich selbst überzeugt, daß er sich gar nicht mehr abschaffen kann; der schließlich seine immer noch landlose Existenz mit Beamten- und Polizeiapparat sowie einem rhetorisch begabten »Berufsstammler« beweist. Schon der Name (»Jeder Staat, der etwas auf sich hält, heißt nach einem Hotel-Restaurant«) jener ideologischen Konstruktion, die sich Staat nennt, spräche für Soyfers Gespür, mit dem er die großen politischen Umwälzungen als lächerliche, wenngleich ernstzunehmende Farce begriff. Aber Astoria geht auf ein wahres Ereignis 1936 in London zurück, das seinen Ursprung in der Langeweile von Londoner Botschaftsangehörigen (die dann durch den Kriegsausbruch glücklicherweise behoben werden konnte) hatte.

Diese Gesandtschafter richteten eine Botschaft ein, kreierten eine Uniform, eine Landesfahne, ein Staatswappen, ließen die astorischen Belange durch einen älteren Herrn samt Gattin würdig vertreten und den ganzen Spaß durch einen Millionär finanzieren. Erst nach achtzehn Monaten, in denen ausgiebig mit der Londoner Gesellschaft diniert und politisiert wurde, flog der Schwindel auf. Soyfers Handlung funktioniert nach diesem Muster; allerdings ist bei ihm »Astoria« nicht nur ein Gesellschaftsspiel für die high society, sondern auch ein Utopia für die Habenichtse. So philosophieren die Landstreicher über die Bestimmung des Menschen und die Huren träumen von Liebe, wissen sie doch: »Glücklich sein oder ein Mensch sein — alles auf einmal kann der Mensch nicht haben«.

Was in der Anlage bekannt erscheint, trimmt die Regie vollends mit der Brechtstange auf gewohntes Format: Die Tippelbrüder hingen wohl noch im Fundus, und für drei Groschen war‘n auch die Huren zu haben. Nur zum Happy-End reicht es bei der Soyfer-Vorlage nicht. Fiktion und Wirklichkeit wird ordentlich mit einem theatralischen Summton geschieden: träumt einer, wird das mit Harmonium illustriert (zur Einsatzfreude siehe oben). Aber wenn die Repräsentanten Astorias auf dem Höhepunkt der Macht sogar ihre Lüge zugeben, ohne etwas zu verlieren, wird die ganze Sortierästhetik auf den Kopf gestellt. Da stehen sie, die Schauspieler, in ihren schönen Kostümen und machen ihre Faxen und dürfen nicht einmal über ihre Rolle springen. Noch der »Berufsstammler«, der auf der Leiter steht und da eine wirklich gute, sogar verständliche Rede hält, muß am Schluß sein Bein in die Luft halten, auf daß er zum Zinnsoldatenbild gefriert. Das wirkt ungefähr so elegant wie die kollektive Grätsche beim Fernsehballett und geht bestimmt ganz schön ans Bein. Dorothee Hackenberg

Astoria bis 20. April in der Theatermanufaktur.

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