: Wer ist eigentlich der Hooligan?
■ Über die Unfähigkeit, Hooliganismus einzuordnen und ihn trotzdem zu bekämpfen
Warum treffen sich junge Männer Wochenende für Wochenende, um sich anläßlich eines Fußballspiels die Köpfe einzuhauen, Städte zu demolieren, machohaft an jede Ecke zu pinkeln und die Polizei auf Trab zu halten? Weil sie durch und durch voller krimineller Energie stecken natürlich! Eine schlichte Erklärung, doch die scheint den Funktionären und Politikern einzuleuchten. So stimmte der Nordostdeutsche Fußball- Verband (NOFV) ab, daß es sich „bei den Randalierern nicht um Fans, sondern um kriminelle Elemente handelt, die die Tribüne des Fußballs gezielt für ihre verbrecherischen Machenschaften mißbrauchen“. „Kriminelle Gewalttäter“ eben, wie der Sicherheitsbeauftragte des Deutschen Fußballbundes (DFB), Richter Wilhelm Hennes, urteilt. „Fußball-Verbrecher“ tönte es aus Berlin, und schließlich identifizierte DFB-Chef Herrman Neuberger einen „kleinen Prozentsatz blindwütiger Chaoten“ eindeutig als „Kriminelle“.
Woher nur kommen die so plötzlich? Keine Generalamnestie in Sicht, und doch scheint es nahe den Fußballarenen der fünf neuen Länder (FNL) von Verbrechern nur so zu wimmeln. „Nicht zufällig“, munkelt Alfred Gomolka, Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern: „Da sind Kräfte am Werk, die auf Konflikte zielen, die über die übliche Randale hinausgehen.“ Bundesjugendministerin Angela Merkel (CDU) spricht es schließlich aus: Sie hege den „Verdacht einer Zusammenarbeit alter Stasi-Seilschaften mit Fußball- Rowdies“. Was wiederum die Magdeburger Polizei in Sinnkrisen stürzen wird. Die nämlich glaubt, beim Spiel gegen Halle am 6. April Skinheads festgenommen zu haben. Hennes argwöhnt dagegen nach eingehender Gesellschaftsanalyse, daß „Wackersdorf und die Startbahn West so manchem zu fehlen scheinen“. Doch was Neuberger entsetzte, waren Hools, die, wie er, in Anzug und Krawatte erschienen: „Die benutzen die gutbürgerliche Existenz als gefährliche Tarnkappe!“
Gewalt gleich Gewalt gleich Gewalt? Stasi gleich Skinheads gleich Anarchos gleich Yuppies? Schulterzucken. Keiner weiß, wer der Hool ist. Aber wir können seine Sprache: Gewalt. Das ist nämlich die einzige, die er, der Hool, versteht. Und so herrscht Einigkeit über seine Bekämpfung — „Der Staat muß die Krallen zeigen“ (Hennes). Engelbert Nelk vom DFB-Präsidium fordert, „die Randalierer sofort nach der Festnahme einem Richter vorzuführen, der ein Urteil fällt“. DFB-Sprecher Wolfgang Niersbach appelliert an die „Staatsorgane, mit aller Härte und Konsequenz durchzugreifen“. Und sein Dienstherr Neuberger wünscht sich „drakonische Strafen“. Dieses Thema rief natürlich Bayerns Innenminister Edmund Stoiber (CSU) auf den Plan. Er verlangt ein Eingreifen der Polizei, daß „gar nicht hart genug sein kann“ und nennt das zusammenfassend „harte politische Arbeit“. Ganz konkret wurde Rostocks Coach Uwe Reinders: „Diese Leute gehören bei Wasser und Brot drei Monate in eine Zelle.“
So ist man sich einig: Die Polizei soll die „schönste Nebensache der Welt“ von dem unschönen Beiwerk befreien. Denn immerhin, so der NOFV, „eskaliert es meist außerhalb des Stadions. Damit sind die Staatsorgane gefordert.“ Auch der sächsische Verband will stellvertretend für den gesamten DFB die Gewalt nicht in ursächlichem Zusammenhang mit Fußball sehen und fordert die „Unterstützung der Gesellschaft“. Merke: Der Sport will nicht schuld sein. Und vor allem nicht für die Schäden aufkommen.
Ohnehin sind „Krawalle beim Fußball kein Phänomen der deutschen Einheit, sondern waren auch schon in der Ex-DDR eine — totgeschwiegene — Gefahr“, berichtet Frau Merkel. Woher die agressive Gewalttätigkeit kommt? „Offenbar haben diese Menschen eine Art Nachholbedarf in Sachen Gewaltausübung“, reimt sich Herr Hennes zusammen, „es fällt ihnen schwer, mit den neuen Freiheiten im sozialen Rechtsstaat umzugehen“. Neuberger mahnt: „Der Osten verwechselt die neue Freiheit mit Zügellosigkeit.“ So muß die allzu zaghafte Polizei die Zügel strammziehen, denn „Sozialingenieure können das Problem nicht lösen“, weiß Stoiber. Neuberger ergänzt: „Die Fan-Projekte unterliegen einem Irrglauben, wenn sie meinen, sie könnten die schlimmsten Gewalttäter bekehren.“
In aller Heimlichkeit aber und fernab der vollmundigen Erklärungen der Härte wird der Kontakt zu den Fanbetreuern gesucht. Offenbar ist man in den DFB-Chefetagen doch ein wenig neugierig, wer er denn ist, der Feind, den man bekämpft. Michaela Schießl
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