: »Titanic« in Mitte gesunken
■ Ein Blick auf die Anfänge der Kinematographie in Berlin/ Untergang der »Titanic« wurde 1912 in einem Filmatelier in der Chausseestraße gedreht
Mitte. Im Juni 1912, nur zwei Monate nach dem Untergang des Ozeanriesen »Titanic«, wurde die Tragödie im eisigen Atlantik in einem Hinterhof des heute noch existierenden Berliner Hauses Chausseestraße 123 nachgestaltet, dort, wo später die DDR im Nachbargebäude das ehemalige Wohnhaus von Bertolt Brecht und Helene Weigel als Gedenkstätte und Archiv einrichtete. »Lebenswahr« sollte dieses Seedrama mit dem Titel In Nacht und Eis gedreht werden, und entsprechend waren auch die Aufnahmen, über die der Reporter des 'Berliner Tageblatt‘ sichtlich beeindruckt berichtete: »Ich sollte mit ansehen, wie die Titanic gegen die Eisberge stößt, wie die Flammen aus den Kesseln hervorschlagen, die Wasserfluten in die Heizräume eindringen.«
Dramatische Stummfilmzeiten in Berlin, wo in jenen Jahren beinahe an allen Ecken und Enden Filmateliers, oft ehemalige Fotoateliers, entstanden, meist unter Glasdächern in den obersten Etagen alter Berliner Mietshäuser. In einer Zeit des Umbruchs auch für die Filmstadt Berlin lohnt ein Blick zurück zu den Anfängen der Kinematographie, die in Europa 1895 an der Spree das Licht der Welt erblickte. Die aufregenden ersten zwei Jahrzehnte des Wunders der »lebenden Photographien«, die von einer Bastelstube Max Skladanowskys im kleinen Dörfchen Pankow am Rande der Reichshauptstadt und schließlich vom legendären Varieté »Wintergarten« im Hotel Central an der Friedrich-/Ecke Dorotheenstraße (heute Clara-Zetkin-Straße) ausgingen, dokumentiert der jetzt erschienene gleichermaßen akribisch wie spannend geschriebene Band mit zahlreichen historischen Fotos Auf den Spuren der Filmgeschichte — Berliner Schauplätze von Michael Hanisch (Henschel Verlag Berlin, 428 Seiten, 78 Mark).
Nicht wenige der berühmten Stummfilme sind an Orten entstanden, an denen die Berliner heute täglich vorbeigehen, ohne dies zu ahnen. Asta Nielsen und die anderen großen Stummfilmstars gingen in der Chausseestraße ein und aus, und der gemeimnisvolle expressionistische Film Das Cabinett des Dr. Caligari, ein Meilenstein der Filmgeschichte, wurde nicht weit vom Weißen See in der einstmals riesigen Filmstadt (»Klein-Hollywood in Weißensee«) in jener Straße gedreht, die heute den Namen Max Liebermanns trägt. In Weißensee drehte F.W. Murnau, und hier entstanden auch viele Detektivfilme, zum Beispiel mit dem geheimnisvollen Helden »Phantomas«. Die aus dem Boden sprießenden Filmgesellschaften siedelten ihre zum Teil monumentalen Ateliers in Tempelhof, Kreuzberg (Lindenstraße), Staaken, Marienfelde, Lankwitz, Johannisthal (wo es heute noch DEFA-Ateliers gibt) sowie »jwd« (so pflegte der Volksmund »janz weit draußen« zu bezeichnen) an, natürlich in der »Ufa-Stadt« Babelsberg und in Woltersdorf hinter Erkner östlich von Berlin. Ihre Büros blieben aber meist in der Friedrichstraße im Herzen Berlins konzentriert.
Angefangen hatte alles in der Schönhauser Allee/Ecke Kastanienallee. Von einem Dachatelier aus drehte der Vater von Max Skladanowsky am 20. August 1892 die erste Aufnahme mit einer »Filmkamera«, eine Straßenszene am damals schon belebten Verkehrsknotenpunkt — der erste deutsche »Film« war gedreht! Die Häuser in dieser Gegend sind um 1880 erbaut worden. Das Haus Schönhauser Allee 146 steht heute noch. Wilfred Mommert/dpa
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