Selbstbestimmung am Opel-Fließband

Autokonzern will Gruppenarbeit einführen/ Betriebsvereinbarung verschafft den Arbeitern mehr Spielräume und mehr Lohn  ■ Von Martin Kempe

Berlin (taz) — Opel-Vorstandsmitglied Peter Enderle, in der Konzernspitze zuständig für die Fertigung, frohlockt über rosige Aussichten für seinen Konzern. Er erwartet eine „verbesserte Wettbewerbssituation“ für die drittgrößte deutsche Autoschmiede, nicht wegen eines besonders attraktiven neuen Modells, sondern „dank einer Belegschaft, die kreativer, flexibler und motivierter arbeiten kann“. Der Rüsselsheimer Konzern fühlt sich derzeit nicht nur auf den Straßen auf der überholspur, sondern auch bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen in den deutschen Werken des Automultis.

In einer jetzt unterzeichneten Betriebsvereinbarung zwischen dem Vorstand der Adam Opel AG und dem Gesamtbetriebsrat wurde die Einführung von Gruppenarbeit und eine neue Lohnstruktur für die Beschäftigten der inländischen Opelwerke abgeschlossen. Damit sollen die Arbeitsbedingungen in den Opel- Fabriken nicht nur für die Beschäftigten attraktiver werden, sondern auch für den Konzern: der verspricht sich eine höhere Produktivität. Bei Opel wie in allen anderen Autowerken werden die Fahrzeuge nach wie vor weitgehend in Fließbandfertigung hergestellt, obwohl nach Angaben des Opel-Gesamtbetriebsrats- Vorsitzenden Richard Heller die Bandarbeit und vor allem die extrem gesundheitsverschleißende Über- Kopf-Arbeit schon in den vergangenen Jahren zurückgegangen sind. Mit der Vereinbarung von Gruppenarbeit macht Opel nun als erster deutscher Autokonzern einen Schritt, der ohnehin im Entwicklungstrend liegt und der bei Opel in den letzten Jahren durch umfangreiche Pilotprojekte vorbereitet wurde. Zuletzt hatten schon rund 1.700 Opel-Arbeiter in Gruppen geschafft, wie sie jetzt in der gesamten Produktion gebildet werden sollen.

Anders als bei dem schwedischen Autokonzern Volvo, der seine Fabriken technisch völlig umgerüstet und Produktionsinseln für die Gruppenarbeit eingerichtet hatte, soll die Maschinerie bei Opel laut Betriebsvereinbarung „im angetroffenen Zustand“ belassen werden. Die Arbeitssituation der Beschäftigten wird also nicht völlig umgestülpt. Die Beschäftigten erhalten nur größere Gestaltungsspielräume, mit der gegebenen Situation flexibel umzugehen. Damit will man die schlechten schwedischen Erfahrungen vermeiden, wo die Produktivität durch die Umgestaltung deutlich gesunken ist. Außerdem soll die Umstellung nicht kurzfristig, sondern in einem längeren Prozeß bis 1993 vollzogen werden. Nur bei den ostdeutschen Standorten geht es schneller. Das thüringische Vectra-Montagewerk ist schon jetzt nach dem Gruppen-Prinzip organisiert und am Produktionsstandort Eisenach, wo ab Ende 1992 jährlich 150.000 Automobile hergestellt werden sollen, wird nach Mitteilung des Vorstands gleich von Anfang an nur in Gruppen gearbeitet.

Die Gruppen sollen in der Regel zwischen acht und 15 Beschäftigte umfassen, die einen bestimmten Fertigungsabschnitt der Automobilproduktion übernehmen. Dabei sollen sie die Arbeit gemeinsam planen und auch selbst kontrollieren. Die Koordination übernimmt nicht automatisch der Meister, also die hierarchische Instanz, sondern ein von der Gruppe selbst gewählter Sprecher. Eine Stunde in der Woche können die Beschäftigten in Zukunft über ihre Arbeitsaufgaben und Arbeitssituation diskutieren. Bei der Organisation und Verteilung der Arbeit ist die Gruppe frei. Damit ergibt sich auch die Möglichkeit einer gewissen Rotation zwischen den Beschäftigten, die für die einzelnen zu einer variableren Tätigkeit führen kann, zumal in aller Regel unterschiedliche Qualifikationsstufen in den Gruppen zusammengeschlossen sind. Geschäftsführung und Gesamtbetriebsrat versprechen sich davon Qualifizierungsprozesse, die wiederum der Produktivität zugute kommen. Inwieweit sich aus den variableren Tätigkeiten auch Ansprüche auf tarifliche Höherstufung ergeben können, ist in der Betriebsvereinbarung nicht geregelt.

Mit der Einführung des neuen, vereinfachten Lohnsystems hatten es die Verhandlungsparteien eiliger. Zum ersten Juli soll die Umstellung vom alten auf das neue Lohnsystem erfolgen. Die bisher 42 verschiedenen Lohnstufen werden auf zehn Lohngruppen zusammengefaßt und, darauf legte der Betriebsrat besonderen Wert, die bisher gezahlten 25- bis 30prozentigen Leistungszulagen werden in eine fest vereinbarte Prämie überführt, die in Zukunft gleichermaßen an den tariflichen Lohnerhöhungen teilnehmen soll. Mit dieser Vereinbarung hat der Opel-Gesamtbetriebsrat die Absicherung der bisher freiwillig gezahlten übertariflichen Lohnbestandteile geschafft und einer Lohndifferenzierung „nach Nase“ durch das Unternehmen unmöglich gemacht. Insgesamt habe diese Umstrukturierung der Löhne für alle Opel-Arbeiter zu einer durchschnittlichen Lohnsteigerung von drei Prozent geführt, berichtete Gesamtbetriebsratsvorsitzender Richard Heller der taz. Arbeitsdirektor Walter Schletfeldt bestätigt diese Rechnung und versichert, daß diese außertarifliche Lohnkostensteigerung angesichts der von der Gruppenarbeit erhofften „spürbaren Produktivitätsverbesserung“ gezahlt werden könne.