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Türkei will Flüchtlinge in Täler lassen

■ USA starten „Operation Beistand“/ EG übernimmt Versorgung eines Flüchtlingslagers/ Wörner hält Militärintervention im Irak für gerechtfertigt/ Der Irak bildet Rückkehrkomitees für Kurden

Ankara/Berlin (afp/taz) — Die türkische Regierung hat erstmals offiziell bestätigt, daß sie die aus dem Nordirak geflüchteten Kurden aus den Bergen in die Täler herabsteigen lassen will. Ministerpräsident Yildirim Akbulut sagte am Samstag vor Journalisten in Ankara, die Flüchtlinge würden in Lager „auf günstigerem Boden“ gebracht werden, die sowohl auf türkischer als auch auf irakischer Seite lägen. Bisher hatten Soldaten die Flüchtlinge daran gehindert, aus den unwirtlichen Bergen in die Sicherheit der Täler zu kommen. In der letzten Woche hatte der internationale diplomatische Druck auf die Regierung in Ankara, die Grenzen zu öffnen und die FLüchtlinge in die Täler zu lassen, zugenommen. Angesichts der chaotischen Lage entlang der Grenze war jedoch zunächst keine Änderung zu bemerken.

Die USA haben am Wochenene, wie andere Länder auch, ihre Hilfslieferungen für die FLüchtlinge verstärkt und sind von der „Operation Wüstensturm“ zur „Operation Beistand“ übergegangen: Sie leiteten am Wochenende eine umfangreiche „Hilfsoffensive“ — so der militärische Jargon — zur Unterstützung kurdischen Flüchtlinge in der Türkei ein. Im Zuge der „Operation Beistand“ („Operation Provide Comfort“) sollen in enger Zusammenarbeit mit der türkischen Regierung 3.000 bis 4.000 US-Soldaten in der Grenzregion eingesetzt werden. Auch Bomberverbände und Einheiten von Marineinfanteristen sollen zu den Hilfstruppen gehören. Nach türkischen Angaben ist auch der Norden des Iraks oberhalb des 36. Breitengrades einbezogen. Die USA wollten dort provisorische Flüchtlingscamps einrichten, berichtete der türkische Außenhandelsminister am Freitag abend. Der neuen amerikanischen Hilfsaktion ist nach Angaben der amerikanischen Botschaft in Ankara die einmonatige Versorgung von 700.000 Menschen mit täglich einer Mahlzeit zugrundegelegt.

Die EG bereitete sich am Wochenende auf die Versorgung eines Flüchtlingslagers vor. Wie der Direktor für Nord-Süd-Beziehungen der EG, Juan Prat, am Samstag in Diyarbakir erklärte, würden die türkischen Behörden am Montag oder Dienstag ein Lager aussuchen. In etwa vier Tagen könne mit der konkreten Unterstützung begonnen werden, sagte Prat. Es würden Generatoren, bewegliche Lazarette und Wasserfilter geschickt.

Der britische Außenminister Douglas Hurd und der Präsident der EG-Kommission, Jacques Delors, warnten das irakische Regime vor einer Behinderung der internationalen Hilfslieferungen für die kurdischen Flüchtlinge und drohten für diesen Fall mit Gegenmaßnahmen. Nato- Generalsekretär Manfred Wörner ging einen Schritt weiter und sagte am Sonntag in einer Diskussionsrunde im österreichischen Fernsehen, im Fall von Völkermord müsse ein Eingreifen innerhalb bestimmter Grenzen auch in die inneren Angelegenheiten eines Staates möglich sein. Daß es sich bei der Verfolgung der Kurden um Völkermord handele, steht nach den Worten des Nato-Generalsekretärs „außer Zweifel“. Wörner ließ offen, welches Land seine Truppen in den Irak entsenden solle. „Das ist die große Frage“, sagte Wörner. Seiner Einschätzung zufolge müsse die Lösung im Rahmen der UNO gefunden werden.

Die irakische Führung rief unterdessen ein Komitee ins Leben, das den kurdischen Flüchtlingen bei der Rückkehr in ihre Heimat helfen soll. Nach offiziellen Angaben setzt sich das Komitee aus Vertretern der Partei, der Regierung, der Sicherheitskräfte sowie des Geheimdienstes (!) zusammen. Es sei bereits am Donnerstag vergangener Woche auf Anordnung des Revolutionären Kommandorates gebildet worden, um die Kurden zum Umkehren „zu ermutigen“. Die Nachrichtenagentur 'INA‘ meldete, etwa zehntausend Kurden seien bereits wieder in ihre Dörfer und Städte zurückgekehrt.

Saddam Hussein hatte am Samstag die Kurdenstadt Arbil besucht, die seine Truppen wieder unter Kontrolle haben. Er rief die kurdischen Flüchtlinge zur Rückkehr auf und erneuerte sein Versprechen, nur „Mörder, Vergewaltiger der Volksehre“ (!) und Diebe von Staatseigentum hätten Strafe zu erwarten.

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