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„Wir hätten Todesfälle verhindern können“

Für sowjetische Frauen in Ostdeutschland sind gesunde Kinder seit dem 3.Oktober 1990 eine Frage des Geldes/ Niemand will die Behandlung von Risikoschwangeren und Neugeborenen mehr bezahlen/ Es hat bereits Opfer gegeben  ■ Von Thomas Sümmerer

Leipzig. „Wir hätten Todesfälle und bleibende Schädigungen verhindern können“, zieht Dr. Christoph Vogtmann, Oberarzt an der Uni-Frauenklinik in Leipzig und Leiter der Neugeborenenstation, die traurige Bilanz. Bislang war die Behandlung in den Krankenhäusern der DDR kostenlos. Nach den Bedingungen des Abzugsvertrages muß die Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte eine medizinische Eigenversorgung für die Angehörigen der Soldaten jetzt selbst erbringen. Über eine Versorgung hinaus sind die sowjetischen Ärzte jetzt auch mit Fällen konfrontiert, für die sie weder angemessene Räumlichkeiten noch die notwendigen Fähigkeiten besitzen: Komplikationen werden jetzt nicht mehr an deutsche Kliniken abgegeben.

Hart am Rande der Legalität

„Auch bei uns kann ein normales Kreiskrankenhaus nur bis zu einer gewissen Stufe behandeln, dann beginnt unsere Arbeit als Spezialisten“, meint Christoph Vogtmann. Freiwillig und ohne Bezahlung kümmert er sich um die Station in der Kaserne an der Max-Liebermann- Straße im Leipziger Norden. Hart am Rande der Legalität bewegen sich jedoch Krankenhäuser, die über die Notfallbehandlung hinaus Angehörige von sowjetischen Soldaten stationär aufnehmen — zu einem Tagessatz, der etwa einem Drittel des Monatssoldes eines Offiziers entspricht.

„Das Problem ist mit der Einführung des neuen Krankenversicherungssystems entstanden“, erklärt Martin Schulze, Abteilungsleiter für Inneres im Regierungspräsidium Leipzig. „Natürlich helfen wir im Einzelfall und bezahlen auch die Rechnungen.“ Bei etwa 8.000 sowjetischen Frauen und Kindern in Sachsen wird das schmale Budget der Behörde allerdings bald aufgebraucht sein. Schnelle Hilfe wäre angebracht. Die Beratungen einer Koordinierungsgruppe in Dresden, die sich mit den sozialen Folgen des Abzugsabkommens beschäftigt, ziehen sich jedoch in die Länge.

Derweil behilft man sich mit Provisorien. Sowohl ausgemusterte als auch neue Geräte und medizinische Hilfsmittel sowie Medikamente im Wert von 1,5 Millionen Mark übergab die Uni-Klinik an die sowjetische Garnison. „Was bringt es, mit Hilfskampagnen Millionen Mark in die Sowjetunion zu schicken, wenn es hier am Nötigsten fehlt“, fragt sich Dr. Vogtmann.

Er hat sich auch an die humanitäre Behindertenorganisation „Aktion Sorgenkind“ gewandt, jedoch nur Schweigen geerntet. Seiner Meinung nach muß auch den Familienangehörigen der Soldaten die Maximalversorgung zugestanden werden. „Es hilft doch nichts, wenn wir dort unser 'Gerümpel‘ abgeben und sich weder die Ärzte noch die Frauen in Notfällen an uns wenden, weil sie Angst haben, später zur Kasse gebeten zu werden. Medizinische Hilfe ist ein Menschenrecht.“

„Schuldlose Opfer der deutschen Einheit“

Bereits mehrere Frauen haben die Behandlungskosten in der Uni-Klinik bar bezahlt. Für Dr. Vogtmann ein Rätsel: „Irgendwo müssen sie das Geld geliehen haben.“ Absurd findet der Arzt Sammelaktionen für einzelne sowjetische Kinder. „Das Geld hätte sinnvoller für einen Fonds zur Behandlung für Kinder und Frauen verwandt werden können.“

Eine Idee, die auch Martin Schulze vorschwebt. Seine Behörde kann dies aber nicht klären: „Das ist eine Sache, die der Sozialminister in Dresden entscheiden muß“, erklärt er. Der richtige Weg liegt für ihn in einer kontinuierlichen Versorgung aller Patienten, die mit den Mitteln der Garnisonen nicht mehr zu behandeln sind. Christoph Vogtmann, der die Verhältnisse in der Frauen- und Kinderstation in der Sowjet-Kaserne kennt, versichert zwar: „Wir führen Behandlungen auch ohne finanzielle Belastungen für die Betroffenen durch.“ Langfristig aber sieht er die Angehörigen der Sowjetsoldaten als „schuldlose Opfer der deutschen Einheit, an die niemand gedacht hat“.

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