: Du mußt besser sein, Brille
■ Brille Kunze wie von Fielmann: Kein Pfennig dazugezahlt
“Wär das schön, ein ganzer Abend ohne ein Wort über Deutschland.“ Wenn es danach gegangen wäre, hätte Heinz-Rudolf Kunze am Montag abend in der Stadthalle einen schlechten Abend erlebt. Doch was er über Deutschland erzählt hat, gehörte noch zum Besten, was der Deutschrocker mit der markanten Brille zur Zeit zu bieten hat.
Sei es „die Bevölkerungs-Explosion zwischen Euphrat und Tigres“, die „Deutschlandkarte der NPD, auf der nur Mallorca fehlt“, oder die amerikanische Rakete, die in den Luftschacht des irakischen Bunkers eingeschlagen ist „wie Emmerichs Tor '66 aus fast unmöglichem Winkel, alles was recht ist“, Kunze teilt grausam aus, ist Zyniker bis zum Erbrechen, der schon zum nächsten Schlag ausholt, bevor die Leute merken, warum ihnen das Lachen im Halse steckenbleibt. Kein Erbarmen, „jeder Eintopf bei uns zu Hause war eine Kesselschlacht, Löffel abgeben galt nicht“. Aber was kommt denn eigentlich heraus, wenn Ingmar Bergmann und Roland Kaiser zusammen in einem Zelt an der Küste von Cuxhaven wohnen?
Dann kommen Texte heraus, wie Kunze sie seit neuestem singt. Schweres, belangloses Zeug, daß sich bedeutungsschwanger ausbreitet und einfach nur Quatsch ist: „Wenn der Mond seine Falten zwischen schwarzen Flügeln verbirgt..., wenn die Brandung des Blutes sich müde am Herzufer bricht“: Was soll man da anderes als Brechen?
Natürlich ist es schier unmöglich, zu solchen Worten Musik in irgendeiner Form zu finden, und es ist Gott sei Dank auch nicht gelungen, da darf man noch Hoffnung haben, daß sich Gitarrist Heiner Lürig eines besseren besinnt. Denn der hat die banalen Mischungen aus Maria-Hellwig- Volksmusik und Juliane-Werding-Schlager verbrochen: Musik wie von der Krankenkasse und keinen Pfennig dazugezahlt.
Da hilft dann oft auch nicht mehr Kunze. Die Leichtigkeit ist dem Texter verlorengegangen: Die Liebeslieder sind gespickt mit abgegriffenen Bildern, in denen nur hin und wieder der sprachliche Witz durchschimmert, den Kunzes Lieder ausmachen: „Erinner' mich dran in tausend Jahren, was ich dir heute versprach / dies wird der Abend vor dem Morgen danach.“
Weil die neuen Stücke so langweilig waren, kam das Publikum auch erst in der zweiten Hälfte des Konzerts in Stimmung. 2.000 Menschen hatten in der großen Stadthalle Platz zum Tanzen und hörten sich einmal mehr Autobiographisches im Vierviertel-Takt an: „Du mußt besser sein, Brille, besser als der Rest, sie zertreten dir die Gläser, wenn du sie erst läßt.“ Aber so schlimm war es doch nicht. mad
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