PDS: Heimat für reuige Ex-Stasis

■ Parteichef legt Grundsatzpapier zum Verhältnis zwischen PDS und Stasi vor/ MfS-MitarbeiterInnen sollen zu ihrer „politisch-moralischen Verantwortung“ stehen

Berlin (taz) — Ehemalige Mitarbeiter des früheren Staatssicherheitsdienstes der DDR können auch weiterhin ihre „politische Heimat“ in der PDS finden — vorausgesetzt, sie haben sich strafrechtlich nicht schuldig gemacht und sind bereit, zu ihrer „politisch-moralischen Verantwortung“ zu stehen. Das geht aus einer ganzseitigen Erklärung des Parteivorsitzenden Gregor Gysi hervor, die gestern im 'Neuen Deutschland‘ veröffentlicht wurde. Fast genau 15 Monate nachdem die Stasi-Zentrale in der Ostberliner Normannenstraße gestürmt wurde, sah sich das Präsidium der PDS veranlaßt, eine überfällige, grundsätzliche Erklärung zum Umgang mit dem Erbe der Staatssicherheit abzugeben und ihr Verhältnis zu den ehemaligen Mitarbeitern — darunter zahlreiche PDS- Parteimitglieder — festzulegen.

Die PDS, räumt Gregor Gysi in seiner Erklärung ein, habe sich zwar der Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit „gestellt, aber sie bisher nur unzureichend erfüllt“. Erste Schritte habe es zuletzt etwa auf der Stalinismus-Konferenz im November letzten Jahres gegeben. Insgesamt sei die Bereitschaft zur Aufarbeitung der Staatssicherheit aber „gering“. Die Ursachen dafür sucht Gysi in allseits verbreiteten „fragwürdigen Verallgemeinerungen“, im Bestreben, „Sündenböcke auszumachen“ und in den enormen sozialen Nöten der fünf neuen Bundesländer, die den neuen Bundesbürgern die Beschäftigung mit der Stasi-Vergangenheit als „untergeordnete Rolle“ erscheinen lasse.

Was die eigene Partei anbelangt, ist Gysis Schlußfolgerung vernichtend: Die Leitung der PDS habe die oben genannten Faktoren unterschätzt und „bis jetzt kein ausreichendes Konzept für die Aufarbeitung der Geschichte des Staatssicherheitsdienstes und der Klarstellung der Verantwortung der SED für die Tätigkeiten des MfS entwickelt“.

Die politische Verantwortung für die Tätigkeiten des MfS trage ausschließlich die Führung der ehemaligen Staatspartei SED. Verbindungen zwischen SED und MfS habe es auf allen politischen Ebenen gegeben. Allerdings sei das Ministerium streng zentralistisch und militärisch organisiert gewesen, wodurch die Kreis- und Bezirksleitungen der SED nur einen begrenzten Einfluß auf das MfS gehabt hätten. In der Erklärung liest sich dies beinahe so, als wolle Gregor Gysi weiteren möglichen Angriffen gegen den ehemaligen SED-Bezirkschef und heutigen Ehrenvorsitzenden der PDS, Hans Modrow, zuvorkommen. In der „Bewertung“ der MfS-Tätigkeiten klagt Gysi eine differenzierte Betrachtung ein. Während er die „Zerschlagung demokratischer, oppositioneller politischer Aktivitäten“ und die ideologische Überwachung Andersdenkender als „völlig inakzeptabel“ verurteilt, müsse beispielsweise die Ausspähung der Stimmungslage unter der Bevölkerung eher „als Ausdruck eines fehlenden Bewußtseins über die Funktion demokratischer Institutionen in einer modernen Gesellschaft“ gesehen werden. Dort aber, wo es um die Abwehr von Spionage, Sabotage, Terror, Rechtsextremismus oder Korruption gegangen sei, sei die Arbeit des MfS „historisch berechtigt und nicht zu verurteilen“.

Die jüngst bekanntgewordenen Beziehungen des MfS zu allen möglichen Terrororganisationen in aller Welt werden in der Neun-Punkte-Erklärung nicht erwähnt. Folgerichtig führt für Gysi etwa auf dem Gebiet der Spionage kein Weg an einer Amnestie vorbei. In den übrigen Bereichen müsse jeweils geprüft werden, wie weit der einzelne MfS-Mitarbeiter gegen das Strafrecht verstoßen habe.

In der Frage des weiteren Umgangs mit den Akten der Staatssicherheit orientiert sich das Grundsatzpapier der SED-Nachfolgepartei weitgehend an den Forderungen der Bürgerrechtsbewegung. Danach sollte es für die Opfer der Stasi ein weitreichendes Akteneinsichts- und Auskunftsrecht geben und den ehemaligen MitarbeiterInnen die Herausgabe der Unterlagen verweigert werden. Völlig gegensätzlich wertet die PDS allerdings die Forderung verschiedener BürgerrechtlerInnen, das frühere Ministerium zur „verbrecherischen Organisation“ zu erklären. Das MfS würde damit auf eine Stufe mit den Machtorganen des faschistischen deutschen Regimes gestellt, was eine „unglaubliche Bagatellisierung der faschistischen Verbrechen“ darstellte. Die Berge von Akten Mielkes „dürfen nicht die Berge von Leichen Hitlers vergessen machen“.

Wie weit der Aufarbeitungsprozeß parteiintern bisher in Gang gekommen ist, läßt die Bitte Gysis erahnen: „Ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des MfS, die Mitglieder der PDS sind, fordere ich auf, in ihren Basisorganisationen ehrlich und offen über ihre frühere Tatigkeit zu sprechen.“ Sie sollten ihre Biographie annehmen und das Gespräch mit den von der Stasi Betroffenen suchen. Wolfgang Gast