: RAT ZUM RAD
■ Warum der Fahrstuhlführer vom Aussichtsturm ein Montainbike braucht. Tips udn Bedenkenswertes für den Fahrradkauf
Warum der Fahrstuhlführer vom Aussichtsturm ein Mountainbike braucht. Tips und Bedenkenswertes für den Fahrradkauf.
VONROBERTOHOCHREIN
Die Technik hat in den letzten Jahren den Fahrradbau fast völlig verändert: Sporträder, Leichtlaufräder, Mountainbikes, Citybikes, Treckingbikes, Rennmaschinen. Die neuen Räder haben mit Opas altem Drahtesel kaum noch etwas gemein. Leicht, schnell, wendig und trotzdem robust — neue Materialien und Verarbeitungswege machen die Fahrräder von heute vielseitiger.
Leichtmetalle, Kunststoffe und leichtere Stahlrohre haben dem guten alten Drahtesel so manches Pfund genommen. Ein modernes Fahrrad der mittleren Preisklasse wiegt kaum mehr als zwölf Kilo. Vier bis fünf Kilo weniger als das gute alte Hollandrad. Das macht sich bemerkbar. Beim Fahren und beim In-den-Keller-Tragen.
Nicht nur die Materialien der Fahrräder sind leichter, nicht nur die Farben sind greller, auch die Technik hat sich völlig verändert. Selbst wenn sich Opa an den Gedanken gewöhnt, zukünftig mit einem maronibraunen Treckingbike durch die Felder zu radeln, seine gute alte Dreigangschaltung, an die er seit Jahren gewöhnt ist, wird er in einem modernen Fahrradladen kaum mehr finden. Die Dreigangzeit ist endgültig passé: Die Techniker, sie haben endlich die große Lücke zwischen dem zweiten und dritten Gang geschlossen und die Dreigangschaltung durch eine Fünfgangschaltung ersetzt.
Darauf hatten die Radler seit Jahrzehnten gewartet. Fünf Gänge, fein abgestuft, aber trotzdem die Rücktrittbremse behalten. Der erste Gang ist eine Nummer kleiner, als der erste an der Dreigangschaltung war. Opa kommt damit jetzt viel weiter den Berg hinauf als je zuvor in seinem Leben. Der fünfte Gang ist etwa eineinhalb „Nummern“ größer als der „alte“ dritte. Opa kann also beim Bergabfahren durch Mittreten sogar noch Tempo machen. Und wenn die Situation brenzlig wird, dann rettet ihn der bewährte Rücktritt zusammen mit der neuartigen Vorderbremse. Er muß nur aufpassen, daß er nicht über den Lenker fliegt, denn die neuen Felgenbremsen haben es in sich.
Die Firma Cantilever war die erste, die ein neuartiges Hebelprinzip bei der Felgenbremse angewendet hat. Von ihr haben die neuen Bremsen auch den Namen bekommen. Bei Cantilever-Bremsen wird die Bremskraft wesentlich wirksamer auf die Räder übertragen als bei den bisher gebräuchlichen Felgenbremsen. Waren die alten Felgenbremsen Zangen, die die Felgen abgebremst haben, so sind die neuen Bremsen regelrechte Schraubstöcke. Ein leichter Fingerdruck genügt, um das Rad in Sekundenschnelle zum Stillstand zu bringen.
Und wer als moderner Hausmann und Familienvater mit Kind und Kegel auf einem einzigen Rad fahren möchte — etwa ein Kind im Kindersitz auf dem Gepäckträger, das Wickelkind im Baumwolltuch vor den Brustkorb gebunden und den Familieneinkauf im Rucksack auf dem Rücken und im Fahrradkorb am Lenker verstaut —, der kann ein Rad mit Hydraulikbremsen wählen. Von den Motorrädern „abgekupfert“, bringen die neuen, nahezu wartungsfreien Hydraulikbremsen eine Bremssicherheit, die es bisher noch nicht gab. Die neuen Räder sind nicht nur leichter geworden, sie sind auch sicherer.
Und schneller als Opas „Dreigangtretmaschine“ sind sie allemal. Ganz klar, der Mountainbike-Boom hat die Technik der Gebrauchsräder revolutioniert. Ein Rad mit 12 Gängen ist völlig „out“. 18 Gänge sind Mittelmaß. 21 Gänge sind Optimum. Wenn der Fahrstuhlführer vom Aussichtsturm auf dem Berg über der Stadt auch nur ein bißchen trainiert, dann erreicht er seinen Arbeitsplatz mit dem Rad, ohne auch nur ein einziges Mal aus dem Sattel zu müssen. Er muß nur lernen, rechtzeitig zu schalten.
Auch beim Schalten gilt: Übung macht den (Fahrrad-)Meister. Wer mit dem Runterschalten wartet, bis es schwer geht und er kräftig am Lenker ziehen muß, um die Beine vorwärts zu drücken, der hat's noch nicht kapiert. Geschaltet wird, solange sich das Rad noch mit Leichtigkeit bewegt.
„Beim geringsten Widerstand einen Gang tiefer, wenn's leichter wird, sofort einen Gang höher.“ Das ist die Regel der modernen „Schaltkunst“. So bleiben die Beine immer in hohem Tempo, die Leichtlauflager im flotten Schwung, und der Tritt bleibt „rund“. Optimal sind 70 Pedalumdrehungen pro Minute. Also ein verschnellerter Sekundentakt. Falls das die Raucherlunge mitmacht.
Wer sich ein neues Raderl kaufen möchte, muß sich zu allererst überlegen, wozu er es hauptsächlich braucht. Für den Fahrstuhlführer vom Aussichtsturm auf dem Berg ist das klar. Er ist gut „beradet“ mit einem Mountainbike. Damit kann er, wenn's schnell gehen soll, auch mal eine Abkürzung mitten durch den Wald nehmen. Denn speziell für solches Gelände sind die Mountainbikes konstruiert. [Hoffentlich knallt er dann gegen 'ne stabile Tanne und bricht sich mindestens drei Knochen, damit er in Zukunft nicht mehr in der Lage ist, das ganze kleine Grünzeug zusammenzufahren und irgendwelche Viecher aufzuscheuchen! d.S.] Der kleine Rahmen und die Räder mit 26 Zoll Durchmesser halten das Rad wendig, machen es auch in Extremsituationen beherrschbar. Die breiten, profiltiefen Ballonreifen greifen auch im Schlamm und im Sand. Aber auch in schmalen Altstadtgäßchen bietet ein Mountainbike ebenfalls genügend Wendigkeit, um den allseits gegenwärtigen Fußgängern auszuweichen.
Damit sind die Möglichkeiten eines Mountainbikes für den Normalverbraucher aber auch schon erschöpft. Für den Langstreckenverkehr ist es zwar wegen seines leichten Laufes auf der dünnen „Fahrrille“ des voll aufgepumpten Reifens noch geeignet, aber die kleinen Räder sind bei längeren Strecken eindeutig langsamer als Räder mit einem größeren Durchmesser. Deshalb bietet die Zweiradindustrie als Pendant zum gutausgerüsteten Mountainbike die Treckingbikes an. Ein Treckingbike ist, wie das englische Wort trecking (für Wandern) schon sagt, ein Langstreckenrad. Noch bis vor ein paar Jahren hieß es auch Reiserad. Die 28-Zoll-Räder sind zwar geringfügig schwerer in Schwung zu bringen, aber dafür haben sie dann, wenn sie rollen, eben auch mehr Schwung. Das macht das Radeln angenehm, das Fahrrad hält mehr Tempo.
Der hohe, langgestreckte Rahmen eines solchen Tourenfahrrades sorgt für langen Abstand zwischen den Rädern, so daß das Rad einen ruhigen, „abgefederten“ Lauf bekommt. Was bei den Autos die Reiselimousine, ist bei den Fahrrädern das Treckingbike. Eben ein Reiserad. Neuartig konstruierte Hohlkammerfelgen oder ebenfalls neu entwickelte Konkavfelgen geben den Laufrädern eine Robustheit, die weder Schlaglöcher noch Bordsteinkanten zu fürchten braucht. Wer jetzt noch einen „Achter“ kriegen will, muß sich schon sehr bemühen — oder mit zuwenig Luft im Reifen fahren, so daß die Schläge direkt auf die Felgen durchschlagen.
Der Luftdruck bei Fahrradreifen wird von den allermeisten Radfahrern im wahrsten Sinne des Wortes unterschätzt. Wenn der Reifen mit dem Daumen auch nur geringfügig eingedrückt werden kann, dann ist zuwenig Luft „drauf“. Mit zweieinhalb bis drei atü Luftdruck hat ein breiter Mountainbike-Reifen ideale Laufeigenschaften. Bei fünf atü rollt der schmalere Pneu eines Treckingrades sehr leicht. Die Reifen von Rennrädern vertragen gar bis zu sieben Atmosphären Druck.
Natürlich gibt es außer Reiserädern und Treckingbikes — die Unterschiede sind hier Geringfügigkeiten im Rahmenbau, ansonsten beziehen sie sich im wesentlichen auf die Ausstattung — noch die Citybikes. Das sind Mountainbikes mit Straßenausrüstung, also Lichtanlage, Schutzblechen und Gepäckträger.
Je teurer ein Rad ist, desto mehr Leichtmetall ist daran verarbeitet, desto geringer ist also auch sein Gewicht, und um so leichter läuft es. Da Leichtmetalle aber teuer sind in der Herstellung, sind die leichtesten Räder auch die teuersten.
Teure Räder gelten bereis als Statussymbol. Sie werden häufig gekauft, aber selten gefahren. Einige Fahrradhändler sagen, daß 90 Prozent aller Räder, die über 1.500 Mark gekostet haben, unbenutzt in der Garage stehen. Zum Wohle der Arbeitsplätze in der Fahrradindustrie von Frankreich bis Taiwan...
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