EINE ATLANTIKREISE

■ Mit dem Schiff in die USA

Mit dem Schiff in die USA

VONDORISFÜRSTENBERG

Auf dem Bildschirm vor mir sehe ich eine Erdkarte mit Zeitangaben von Städten auf der ganzen Welt. Mitten auf dem Atlantik bewegt sich ein Kästchen langsam nach Westen; es trägt die Inschrift „QE 2“. Der Bildschirm gehört zu einem TV-Gerät, das Gerät zu meiner Kabine, die Kabine zum letzten großen Passagierdampfer der Atlantikroute: der „Queen Elizabeth 2“. Mit diesem Schiff fahre ich von Southampton nach New York. Fünf Tage dauert die Reise.

Southampton, 12. Juli 1990: Ich habe noch Zeit bis zur Abfahrt des Schiffes und sitze auf einer Bank im Hafen. Eine alte Dame setzt sich zu mir und beginnt eine nettes Gespräch. Sie zeigt auf eine weit entfernte Rauchfahne und sagt voller Ehrfurcht: Dort kommt die QE 2, sie fährt heute abend nach New York. Ich weiß, sage ich, ich fahre mit. Ihre Begeisterung ist echt. Leicht verwundert schaut sie mich an, denn ich sehe nicht gerade wie die typische Kreuzfahrerin aus: Teure Rüschen- und Paillettenkleier sind mir ebenso fern wie ein reicher Ehemann.

Das Einchecken dauert lange, endlich bin ich in meiner winzigen Innenkabine — der billigsten. Das Schiff ist verwirrend groß mit seinen dreizehn Stockwerken. Der erste Eindruck ist der einer etwas angestaubten, aber würdevollen Pracht. Vom Deck aus beobachte ich das Einladen der riesigen Vorräte für die Reise: 1.400 Passagiere und 1.000 Besatzungsmitglieder müssen rundherum — und die ersteren recht fürstlich — verpflegt werden. Eine halbe Stunde vor der Abfahrt beginnt eine Blaskapelle zu spielen, beim Ablegen Sailing von Rod Stewart. Unzählige Geschichten von Auswanderern und Emigranten gehen mir durch den Kopf... Melancholie. Lange bleibe ich noch im Dunkeln an Deck stehen, als die meisten anderen ihren für mich recht uninteressanten Beschäftigungen nachgehen. Vier Tage werde ich nichts sehen außer drei Schiffen, Delphinen, Walen und sehr viel Wasser.

13. Juli: Die Sonne scheint, das Meer ist sehr ruhig. Mit einer Geschwindigkeit von zirka 60 Stundenkilometern schwimmen wir im Ozean. Auf dem Sonnendeck, meinem Lieblingsplatz mit Pool und Liegestühlen, betrachte ich die Mitreisenden. Auf dem Deck bewegen sich alle Klassen durcheinander: Leute aller Altersgruppen, der größte Teil jenseits der 35, Familien, Schwule, Lesben, alte und sehr alte Menschen. Alle leger gekleidet. Nur bei den Mahlzeiten und in den Bars wird die Klassentrennung streng beachtet. Auf dem Deck saust ein Kellner herum und serviert Getränke. Badende im Whirlpool lassen sich Champagner bringen und klatschen beim Knallen der Korken in die Hände. Untereinander ist man ansonsten reserviert. Da ich allein und ohne Abendkleid reise, werde ich von einigen Mitreisenden ausführlich gemustert— unauffällig, versteht sich.

Am Abend defiliert alles zum Dinner. Eine Parade von Dallas- und Fellini-Figuren zieht an mir vorüber. Ich habe nicht gewußt, daß es tatsächlich so eine Ansammlung schrecklicher Kleider und Smokings geben kann. An meinem Tisch sitzen Evelyn und Peter aus der Schweiz. Nach dem Dinner gehen wir zusammen auf dem Schiff spazieren und betrachten eine uralte, verrunzelte Dame im Goldabendkleid, die unerschütterlich mit dem „einarmigen Banditen“ spielt. Tagsüber und abends wird Programm geboten: Vorträge über Kapitalanlagen, Gesundheit, Memoirenschreiben, Astrologie etc. Bingo gibt es natürlich auch und für Wettfreunde die Möglichkeit, die zurückgelegte Strecke zu raten. Abends werden Shows, Musik und Filme vorgeführt. Das Programm ist nicht schlecht. Bei dem Film Driving Miss Daisy werde ich sicherlich immer das Fahrgefühl spüren.

14. Juli: Schon habe ich mich merkwürdigerweise daran gewöhnt, daß die beiden Kellner mir die Serviette auf den Schoß legen und mich beim Frühstück und Dinner von vorn bis hinten bedienen. Extra vegetarische Gerichte sind für das bewegungsarme Leben an Bord gerade richtig. Die Kellner kommen aus England, Deutschland, Portugal, Jugoslawien und Frankreich. Ein Kellner erzählt mir, daß sie nur 800 DM monatlich verdienen, bei ca. 16 Stunden täglicher Arbeit. Der Hauptverdienst liege im Trinkgeld. Durch verschiedene Infoblätter wird den Reisenden sehr nachdrücklich nahegelegt, was sie zu zahlen haben.

Das Meer ist heute bewegter, das Schiff schaukelt etwas. Nachmittags bin ich ziemlich durchgefroren — aber der liebenswürdige Room Steward sorgt natürlich für heißen Tee. Er heißt Bernard und kommt von den Philippinen, wie sehr viele Beschäftigte in diesem Bereich.

15. Juli: Das Meer ist ruhig, die Sonne scheint, es wird wärmer. Abends ist mein Gesicht ganz verbrannt. Das Dinner endet mit Parade aller Köchinnen, Köche und Kellner— eine Kellnerin habe ich nicht gesehen —, im verdunkelten Speisesaal tragen sie eine besondere Nachspeise mit brennenden Wunderkerzen herum. Vorweg läuft ein Kellner mit der englischen Flagge — und dazu wird vom Band ein Marsch gespielt. Die Schweizer, meine Tischnachbarn, und ich retten uns vor einem Lachanfall mit einem Schluck wunderbaren Chablis — und klatschen dann natürlich ganz begeistert mit. Vor einem Dinner gibt es den Kapitänsempfang: Wir dürfen ihm alle die Hand schütteln und werden dabei fotografiert. Danach wird Sekt ausgeschenkt. Der Kapitän hält nach dem Schütteln von Tausenden von Händen eine freundliche Ansprache. Sympathie schlägt ihm entgegen.

16. Juli: Das Meer ist spiegelglatt— und nichts ist zu sehen. Wir fahren durch dichten Nebel südlich von Neufundland. Mittags bricht die Sonne durch. Es ist der einzige wirklich heiße Tag an Deck. Wale und Delphine sind zu sehen: es ist unglaublich schön, das Meer niemals langweilig.

Nachts schrecke ich hoch, weil das vertraute Brummen der Maschinen aufgehört hat. Ich will Licht machen — der Strom ist ausgefallen. Wie alle anderen stürze ich auf den Gang, dort brennt eine Notbeleuchtung. Nach langen fünf Minuten ist die beruhigende Stimme des Kapitäns über Lautsprecher zu hören: Ein Kurzschluß im Motor ist die Ursache. Ich gehe an Deck, in der dunklen, engen Kabine fühle ich mich nicht wohl. Einige andere Reisende sind oben versammelt. Das Schiff liegt etwas schief — wie der Wasserspiegel des Pools zeigt. Es ist stockdunkel, nur die Notbeleuchtung des Schiffes brennt. Natürlich fällt mir die „Titanic“ ein.

17. Juli: Schon um sechs Uhr habe ich mich wecken lassen und stehe nun aufgeregt an der Reling, denn bald muß Land und etwas später die Freiheitsstatue in Sicht sein. Plötzlich reden alle miteinander, sind aufgeregt und freuen sich. Unzählige Fotoapparate werden gezückt, Videokameras surren. Die Freiheitsstatue rückt näher, auf der anderen Seite ist Manhattan im Morgendunst zu sehen. Ein Ehepaar neben mir streitet sich, ob das nun das World Trade Center sei oder nicht.

Ein letzter Gang über das Schiff, der Gang an Land — eine halbe Stunde später fahre ich im Taxi durch das siedend heiße New York.

Informationen: Cunard Reederei, Neuer Walkl 54, 2000 Hamburg 36