piwik no script img

Eine schöne Bescherung

■ Tausende demonstrierten am Freitag bei der »Metropolis«-Eröffnung im Martin-Gropius-Bau für irgend etwas — wahrscheinlich aber für die allgemeine post-moderne Cicciolinisierung von Kunst und Welt

Ein Familienidyll: Hier kuschelt sich Jeff Koons, der teuerste Immer-wieder-Newcomer aus »Amerika«, mit Kußmäulchengrinsen an seine Porzellanskulptur Johannes der Täufer. Das ist eine Nachbildung jener Heiligen-Statuetten, wie sie — bevor sich die Von-innen- Beleuchtbarkeit weltweit durchgesetzt hatte — millionenfach in den Devotionalen-Läden rund um die heiligen Stätten zwischen Mailand und Palermo für wenig Geldmittel die Erinnerungszwecke heiligten — nur daß die von Koons größer, und, wie gesagt, erheblich teurer ist. Der Heiligen-Bildner Koons wird von seiner angetrauten Ehegattin fotografiert: Die Herrgottsknipserin und honorable italienische Parlamentsabgeordnete Ilona Staller streckt den großblumig bekleideten Arsch heraus und wackelt sanft auf den weißen Extra- Stöckeln. Im Neben-Leben ist die Radikalen-Politikerin Pornostar und wird — irgend etwas zwischen Schätzchen und Schweinchen — Cicciolina genannt.

Einige Meter weiter, neben dem wie immer zombiblassen Chef-Christen Eberhard Diepgen, der eben noch schnell der Lufthansa und Philipp Moris dankte, stand kurz zuvor rund und feist ihr Kollege, der sozialistische italienische Außenminister Giovanni De Michelis, und radebrach eine Ausstellungsansprache in italienischem Englisch. Der große Dicke mit den langen schwarzen Fett- Löckchen hat einen Führer durch die schönsten Diskotheken dieser Welt verfaßt, um die er sich überall intensiv kümmert, wo er gerade gipfelkonferiert. Die heimischen Medien nennen ihn deshalb Cicciolino Ballerino.

Neben dem sozialistischen Tanz- Mops — abgesehen von Diepgen, der es immer noch nicht begriffen hatte und beharrlich einen von »Europa«, der »Metropole« und gar von »Erbauung, Inspiration und Anstößen« durch die Kunst daher verbließ — schließlich die Haupt- und Allintegrationsfigur: neun Meter hoch, aus »Fiberglas, Stahl- und Aluminiumkonstruktion, Kabel, Motor«, stets neckisch mit dem Elektroschenkel schwingend, Jonathan Borofskys Skulptur Ballerina Clown.

Und da forderte der Cicciolino Ballerino doch tatsächlich »a commun language« zwischen allem und jedem.

Ja, die großen Wünsche erfüllt der Herr sofort: Cicciolino Ballerino selbst ist das Kommune zwischen — in alphabetischer Reihenfolge — Ballerina Clown, Cicciolina, Christentum (incl. CDU und allen Heiligenbildern), Familie (incl. Maria-und-Josef, Ilona-Staller-und-Jeff-Koons), Freizeitkultur (incl. Disko, Kirchgang, Porno), Politik (incl. nochmals Christen, Sozialisten, Radikale), Sakralisierung (incl. New York, Oberammergau, Oggersheim, Glauben an die Deutsche Einheit), Kunst (incl. nochmals Koons und alle anderen Künstler) und der Welt ganz allgemein. Wie hatte es der Ausstellungsregisseur Christos Joachimides (»Willkommen zur vermutlich wichtigsten Ausstellung seit 1982!«) wiederum in vermutlich ganz anderem Zusammenhang postuliert: Die Kunst muß zur Gesellschaft, die Gesellschaft muß zur Kunst. Da haben wir die schöne Bescherung — nicht nur zur Weihnachtszeit.

»Metropolis«, die internationale Kunstausstellung mit Arbeiten von 72 Allweltskünstlern im Martin-Gropius-Bau, zu deren Eröffnung am Freitag abend dieser Kurz-Kurs in postmoderner Allverknüpftheit und Omni-Determinierung abgehalten wurde — wobei es trotzdem noch Leute geben soll, die das Wort »Postmoderne« mit dem Wort »Beliebigkeit« glauben verknüpfen zu müssen —, zog die Massen an: eine eindrucksvolle und machtvolle Demonstration für dieses gewisse Irgendetwas lieferten mehrere tausend Menschen. Allein sechstausend Einladungskarten — an »Sie und Ihre Freunde« — waren verschickt worden. Dem Aufruf der veranstaltenden »Zeitgeist — Gesellschaft zur Förderung der Künste in Berlin e.V.« waren wohl weitaus mehr gefolgt. Rein statistisch kann es sich dabei gar nicht ausschließlich um Kunstfreundinnen gehandelt haben, sondern mehr um die allgemeinen Massen, die sich heute nur noch ins Ziel- und Interessenlose mobil machen. Diverse kleinere Sub-Demonstrationen, wie die übliche gegen Atelier-Notstand — diesmal unter Verstreuung von mehreren Millionen lebender Maden, die anschließend sukzessive zertreten wurden — oder gegen die Schließung der Kunsthochschule Weißensee sowie von einigen Selbstdarstellern für sich selbst, störten die Manifestation für das Irgendwie nicht, im Gegenteil.

Die eigentliche Eröffnungsparty mit dann nur noch Hunderten von Teilnehmern fand konsequenterweise gegenüber im Preußischen Landtag statt, wo einst Unser Parlament einziehen soll. Der Bau hat das Transitorische eines alten Bahnhofs, und schon in der Tiefe der Eingangsschlucht vor unüberwindlich hohen Treppen dürfte jeder vergessen haben, warum er eigentlich hergekommen war. Darum sei der Bau — so ein Kultur-Verwaltungsmann — »für unsere Demokratie ziemlich ungeeignet«, als Kulturfestveranstaltungsort sei er jedoch ziemlich schön.

Das wiederum paßt nicht nur schön zum beschriebenen Irgendwie, sondern auch prima zur Ausstellung selber, bei der es — die taz kolportierte es am Samstag — weniger darum geht, wie die Welt ist, sondern eher darum, wie sie eingerichtet ist, was sich an einer allgemeinen Überbetonung von Interieur-Installationen bis hin zu den gepolsterten Landkarten von Guillermo Kuitca erkennen läßt. Zu ergänzen wäre noch, daß es ja eigentlich darum geht, wofür bzw. für wen die Welt eingerichtet ist. Und die Antwort darauf kann nur lauten: für den allgemeinen Cicciolino Ballerino. S.o. Gabriele Riedle

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen