: Dreißig Kubikmeter Zweisamkeit
■ Die Berliner Meisterschaften im Trampolin-Synchronspringen offenbarten Personalmangel
Lichterfelde (taz) — Roger Lehmann, Landeslehrwart beim Berliner Turnerbund, weiß, was seine Trampolinspringer am Boden hält: „Wenn man die Nacht zuvor nicht richtig geschlafen oder zuviel getrunken hat, kann es sein, daß man nicht richtig hochkommt.“ Dieser Gefahr setzten sich bei den Landesmeisterschaften im Synchronspringen nur acht Zweierteams aus — selbst an den nur etwa 150 AktivistInnen in Berlin gemessen eine erschreckend niedrige Beteiligung.
Aber Berlin ist nicht mehr, wie noch in den siebziger Jahren, eine Hochburg der führenden Trampolinnation BRD. Nach einem zeitweiligen Verbot dieser nicht ungefährlichen Disziplin in den Schulen und wegen des Mangels an qualifiziertem Lehrpersonal fehlt es an Nachwuchs. Und aus der DDR, die diesen nichtolympischen Sprung in luftige Höhen über dem zwei mal vier Meter großen Sprungtuch links liegenließ, konnten keine Talente rüberwachsen. „Die Sprunggeräte“, so Landeslehrwart Lehrmann, „kosten halt 'ne Mark!“ Also rühren die alleingebliebenen Westberliner in durchschnittlich drei bis vier Metern Sprunghöhe die Werbetrommel: in den (wieder vernünftig gewordenen) Schulen, in Turnvereinen oder gar beim Schauturnen im KaDeWe.
Bei den Titelkämpfen in Lichterfelde gaben die Duette aus Lichtenrade und des rührigsten Clubs, des SSC Südwest, den Ton an. Von der Schüler- bis zur Seniorenklasse ließen sie beim gemeinsamen Sprung unter die Hallendecke manchen Zuschauer aus allen Wolken fallen: Wie schaffen es die Akteure, mal gut, mal besser ihre Überschläge und Salti über der acht Quadratmeter großen Abschußrampe zu synchronisieren?
„Beim Synchronspringen“, verrät Roger Lehmann, „ist vieles möglich. Die Übung verläuft nach dem Master-Verfahren.“ Der Bessere gibt als Herr der Lüfte den Ton an. Stellt sich beim Aufprall auf dem Sprungtuch heraus, daß es mit der Duplizität der Ereignisse nicht richtig hinhaut, muß notfalls die Höhe des Vortrags korrigiert werden. Asynchrone Egotrips können auch dadurch aufgefangen werden, daß die Führenden statt eines gestreckten Saltos eben einen gehockten hinlegen und sich das Duo so wieder einfindet. „Das alles ist Trainingssache und für Außenstehende nicht unbedingt erkennbar“, tröstet Lehmann. Wenn alle informellen Versuche, zur Feinabstimmung zurückzufinden, fehlschlagen, bleibt immer noch der profane Zuruf. Punktabzüge durch die Juroren gibt es dafür nicht. Es werden nur Haltung und Parallelität während der Übung bepunktet. Wenn sich nur die Punktrichter in Lichterfelde auf ein Gleichmaß an Urteilskraft hätten einigen können — es wäre ein schöner Nachmittag geworden. So jedoch kam selbst in der spärlich gefüllten Halle (Miß-)Stimmung auf. Ein Jury-Mitglied mußte gehen, zeitgleich mit dem taz-Reporter: ein würdiger Abschluß eines harmonischen Synchron-Nachmittags! Jürgen Schulz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen