: Werbeminus in der ersten Reihe
Harmonisierung des ARD-Vorabendprogramms als Instrument gegen Umsatzverlust/ Private legen weiter zu/ Öffentlich-rechtliche Anstalten fordern Gebührenerhöhung und Fall der Werbegrenze ■ Von Karl-Heinz Stamm
Es ist ein Leichtes, vor seine Kunden zu treten und über Firmenabschlüsse und Zuwachsraten zu referieren. Wahre Könnerschaft zeigt sich erst in der Krise, wenn der Laden stagniert und der Umsatzrückgang öffentlich vertreten werden muß. Friedrich Nowottny löste diese Aufgabe mit Bravour. Der WDR-Intendant, einst populärer Fernsehmoderator, ist derzeit auch Chef des größten kooperativen Programmunternehmens in Europa: der ARD. Mit welcher Souveränität er seinen potentiellen Kunden das letztjährige Werbeminus der ARD-Sender von über 200 Millionen verkaufte, das hatte Klasse. Immerhin saß beim „ARD Werbe Treff '91“ nicht irgend jemand im Parkett, sondern die Vertreter der werbetreibenden Wirtschaft, um deren Vertrauen man warb.
Zwar sind auf dem Werbefernsehmarkt beständige Zuwachsraten zu verzeichnen — so ist der Gesamtnettoumsatz für Fernsehwerbung im letzten Jahr um 23 Prozent gestiegen — an den beiden öffentlich-rechtlichen Sendern aber ist dieser Boom vorbeigegangen. Im Gegenteil, seit der Etablierung der privaten Fernsehanbieter sind die Marktanteile von ARD und ZDF ständig zurückgegangen. Selbst die ohnehin auf 20 Minuten begrenzte Werbezeit ist bei manchen ARD-Werbetöchtern nicht ausgebucht. Alleine der WDR mußte einen Rückgang des Nettoumsatzerlöses gegenüber dem Vorjahr von 40 Prozent verkraften.
Statt 317 Millionen (1989) flossen gerade noch 190 Millionen Mark an Werbegeldern in die Kassen. Bei der Buchungsauslastung läßt sich ein eindeutiges Nord-Süd-Gefälle verzeichnen, was vor allem damit zusammenhängt, daß im Norden die private Konkurrenz problemlos über Antenne zu empfangen ist. Besonders betroffen von dem Umsatzrückgang sind aber die kleinen, die nehmenden Sender, wie Radio Bremen (minus 40,4 Prozent), der Saarländische Rundfunk (minus 53 Prozent) und der SFB (minus 36 Prozent), die ohne den ARD-Finanzausgleich nicht lebensfähig wären.
Im Gegensatz zum besorgniserregenden Umsatzrückgang der ARD konnte das ZDF in begrenztem Umfang sogar zulegen. Der Mainzer Sender erzielte einen Fernsehwerbe- Jahresumsatz von 712 Millionen, was eine Zuwachsrate gegenüber dem Vorjahr von 4,8 Prozent bedeutet. Zwar liegt die ARD nach 20Uhr besser in der Zuschauergunst, in bezug auf die werberelevante Vorabendszeit aber hat das ZDF die Nase vorn. „Der geschickte Umgang mit dem Trivialen und der Mut zum Sentimentalen“, so Nowottny, „ist bei uns zu kurz gekommen.“
Die großen Absahner indes sind die Privaten, die alle zusammen inzwischen einen Marktanteil von knapp 50 Prozent am Gesamtumsatz halten. Sat1 und RTLplus waren es auch, die erstmals 1990 schwarze Zahlen schrieben. So konnte RTLplus selbst auf dem schon hohen Umsatzniveau von 1989 noch eine Zuwachsrate von 137 Prozent setzen (das sind 961 Millionen), während SAT1 seine Werbeeinnahmen im letzten Jahr „nur“ um 65 Prozent auf 782 Millionen DM steigerte. Was wohl auf den in der Öffentlichkeit geführten Streit zwischen den Großaktionären Kirch und Springer zurückzuführen ist. Bei den kleineren Sendern liegt zwar Tele5 immer noch umsatzmäßig vor Pro7, dafür aber kann Pro7 mit der größten prozentualen Steigerung aller Sender von 265 Prozent auf 71 Millionen DM aufwarten.
Von den goldenen Zeiten des Monopols träumen die Öffentlich-rechtlichen heute nicht mehr, eher schon davon, den totalen Einbruch auf dem Werbemarkt zu stoppen. Deshalb hat die ARD jetzt das Vorabendprogramm weitestgehend synchronisiert. Dieselbe Folge von Großstadtrevier beispielsweise, wird von allen ARD-Sendern am gleichen Tag, zu annähernd gleicher Zeit ausgestrahlt. Ausgenommen sind derzeit noch Montag und Samstag. Mit der Programmharmonisierung, die Anfang des Jahres unter dem Label „ARD vor acht“ eingeführt wurde, wird der Werbewirtschaft nicht nur ein nahezu einheitliches Programmumfeld geboten, sondern auch die Möglichkeit, die Werbung national zu schalten. Mußte der Kunde bislang bei neun Sendern seine Werbezeit buchen, so kann er sie heute national schalten. Diese Veränderung ist auf eine positive Resonanz gestoßen, nicht nur wurden 80 Prozent der zur Verfügung stehenden Werbezeit der ARD national gebucht, auch die ersten Werte belegen die Richtigkeit der Neuerung.
Zwar ist eine Runfunkgebührenerhöhung um 6 auf 25 DM für Anfang 1992 ins Auge gefaßt, davor aber steht die Entscheidung der Politiker. Derzeit ist eine von den Landesregierungen eingesetzte Kommission dabei, den Finanzbedarf der Rundfunkanstalten zu ermitteln. Der Knackpunkt ist, ob die Gebühr auch in den neuen Ländern erhöht werden soll. Die desolate ökonomische Situation der „Ossis“, die gerade dabei sind die Erhöhung auf Westniveau zu verkraften, spricht jedenfalls dagegen. Gebührensplitting auf Zeit ist da das geflügelte Wort.
Angesichts der finanziellen Misere drängen die Fernsehverantwortlichen aber nicht nur auf eine Gebührenerhöhung, die die anfallenden Kosten nicht decken kann, sondern auch darauf, die medienpolitischen Fesseln zu lockern, das heißt sie fordern die Aufhebung der 20Uhr-Werbegrenze und eine Erweiterung des täglichen Werbevolumens um fünf Minuten. Denn eines ist klar, die Umsatzrekorde der Privaten rühren nicht daher, daß das Programm besser ist, sondern daß diese ihre Commercials auch zur Prime-Time senden dürfen. Und schließliche soll auch eine Entwicklung nicht spurlos an den angeschlagenen Sendern vorübergehen: Das ist die Vergrößerung des Werbekuchens, der im Zusammenhang mit der Einführung des europäischen Binnenmarktes erwartet wird. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern nämlich ist Deutschland fernsehwerbemäßig immer noch ein Entwicklungsland. Während der Anteil für Fernsehwerbung in den alten Bundesländern 1989 bei 11Prozent lag, ist der europäische Durchschnitt bei cirka 25 Prozent angesiedelt.
Beim „Werbe Treff“ hat der NDR-Intendant Jobst Plog die Argumentationslinie für den Fall der 20Uhr-Werbegrenze vorgezeichnet: Nachdem wir von den Politikern den Kulturkanal aufs Auge gedrückt bekamen, uns beim hochauflösenden Fernsehen (HDTV) engagieren, schließlich die Rundfunkstruktur in den neuen Ländern mit einer Anschubfinanzierung unterstützen, (das Argument der gestiegenen Lizenzkosten hatte er vergessen), kann nur noch eine Ausweitung der Werbung helfen. An fünf Minuten täglich ist gedacht. Der WDR-Vorsitzende Nowottny weiß auch schon, wie er sie plaziert: 15 Minuten vor und 10 Minuten nach 20 Uhr. Und, gleichsam um alle Befürchtungen im Keim zu ersticken, die eine Konvergenz des Programmes zu den Privaten befürchten: Zum „schieren Programmumfeld“ für Werbung wird der Abend nicht verkommen. Eine Wette sollte man darauf aber nicht abschließen.
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