: Lateinamerika im Griff des US-Neoliberalismus
■ Von Alaska bis Feuerland wird zugleich an mehreren Freihandelsprojekten gearbeitet/ USA möchte sie unter einen Hut bekommen
Mexiko-Stadt (dpa/taz) — In Lateinamerika ist es zur Zeit Mode, Freihandelszonen zu schaffen, um gegen die internationale Konkurrenz mithalten zu können. In Südamerika hat sich das Theoretisieren der 80er Jahre über wirtschaftliche Integration bereits in konkrete Abkommen verwandelt: Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay vereinbarten am 26.März die Bildung eines gemeinsamen Marktes — „Mercosur“ — bis spätestens 1995. Die vier Länder vereinen rund 170 Millionen potentielle KonsumentInnen und ein Bruttosozialprodukt von 350 Milliarden Dollar.
Weiter im Norden haben sich Mexiko und die Länder Zentralamerikas im Januar darauf geeinigt, bis Ende 1996 eine Freihandelszone zustande zu bringen. Auf bilateraler Ebene haben Venezuela und Chile Anfang April ein Freihandelsabkommen unterzeichnet, das am 1. Juni in Kraft treten soll. Gleichzeitig haben Chile und Costa Rica mit der Vorbereitung ähnlicher Verträge mit den USA begonnen.
Das ehrgeizigste Vorhaben in diesem Bereich spielt sich jedoch zwischen Mexiko, den USA und Kanada ab. Mexikos Präsident Carlos Salinas de Gortari hat die wirtschaftliche Zukunft seines Landes mit der Handelsintegration mit den beiden Industrienationen im Norden verbunden. Die drei Staaten würden den weltweit größten gemeinsamen Markt mit rund 360 Millionen Menschen und einem Bruttosozialprodukt von mehr als sechs Billionen Dollar bilden.
In Lateinamerika haben sich die Zeiten geändert. Fast überall sitzen anstelle der rechten Militärdiktatoren jetzt neoliberale bürgerliche Regierungen an den Schalthebeln der Macht, und fast alle wollen eng mit den USA zusammenarbeiten. Der Neoliberalismus, der in vielen Ländern von den in Nordamerika ausgebildeten sogenannten Chicago Boys propagiert wird, scheint einen ideologischen Triumphzug durch den Kontinent angetreten zu haben.
Der Neoliberalismus — das heißt der Abbau von Handelsschranken und der Verzicht auf staatliches Eingreifen — ist der Grundstein der Initiative „of the Americas“, mit der US-Präsident George Bush den Nord- und den Südteil des Kontinents meint, und die von Alaska bis Feuerland eine einzige, riesige Freihandelszone schaffen soll. Als erster und entscheidender Schritt auf diesem Wege soll das Dreierabkommen Kanada-USA-Mexiko dienen.
Kritiker in Lateinamerika hegen den Verdacht, die USA wollten mit Hilfe dieser Initiative die billigen und reichlich vorhandenen Arbeitskräfte im Süden des Kontinents ausbeuten und so ihre wirtschaftliche Hegemonie über Westeuropa und Südostasien mit Japan an der Spitze wiederherstellen. Tatsächlich bestehen aus lateinamerikanischer Sicht zahlreiche Zweifel am Segen der „Initiative Amerika“. Unter anderem wird befürchtet, daß die unregulierte Öffnung der Märkte unter rein kapitalistischen Gesichtspunkten die Zahl der Arbeitslosen weiter in die Höhe treiben könnte, weil viele lokale Unternehmen nicht mehr konkurrenzfähig wären. Trotz aller warnenden Stimmen überwiegt aber in den Regierungen Mittel- und Südamerika derzeit jedoch die Meinung, daß der Freihandels-Zug nicht mehr aufzuhalten sei — auch wenn, um es nur vorsichtig auszudrücken, die Mehrheit nicht wird erster Klasse reisen können.
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