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Das hohe Liad aufs Schnadahüpf'l

Zur Ethnologie einer Stammeskultur  ■ Von Bertl Heppoldinger (Informant) und Resi Mashaber (Volkskundlerin)

Nur wenige europäische Stammeskulturen können sich einer so langen Geschichte ethnographischer Erforschung erfreuen wie die der Bajuwaren. Der Aufklärer Nicolai machte gegen Ende des 18. Jahrhunderts die ersten Feldforschungen bei diesem am nördlichen Alpenrand siedelnden Bergvolk. Schon im letzten Jahrhundert beklagten sich die Einheimischen über die Horden von gelehrten Männern, die in schwarzem Habit, ausgerüstet mit Feldstecher, Papier und Feder wie Wörterbuch und allerlei Meßgerät, den Eigensinn der Bayern zu erforschen suchten. So aufschlußreich die Studien dieser ersten Generation von Ethnographen auch gewesen sein mögen, der spezifischen Alterität dieser vorwiegend bäuerlichen Kultur sind sie kaum auf die Spur gekommen. Meist zeugten ihre Abhandlungen von verständnisloser Ignoranz, nicht selten sogar unverhohlener Arroganz. So nahm es nicht Wunder, daß es mitunter zu spektakulären Hinrichtungsritualen kam, denen einige der namhaftesten Gelehrten zum Opfer fielen. Sie waren jedoch — wie neuere Untersuchungen zweifelsfrei feststellen konnten — nur die Spitze des Eisbergs im zähen und unerbittlichen Kampf zwischen Feldforschern und Stammesangehörigen. Und obwohl unser Jahrhundert in der Erkundung der Riten und Gebräuche große Fortschritte gemacht hat — so legte Herbert Achternbusch mit seiner Studie Das Andechser Gefühl eine cinematographische Analyse bayerischer Trinkrituale vor — fehlt bislang, nicht zuletzt aufgrund der abschreckenden Erfahrungen des 19. Jahrhunderts, eine erhellende Ergründung jenes eigenartigen Amalgams von Merkmalen, das die Bayern zu Bayern machen.

Diese bedauerliche Lücke der hiesigen Regionalforschung verspricht die schon vor zwei Jahren in dem neuerdings immer martialischer bohrenden Magazin für die gebildeten Stände 'Merkur‘ angezeigte und nun endlich in der bekannt vorbildlichen Ausstattung der „Anderen Bibliothek“ vorgelegte Ethnographie Tief in Bayern zu schließen. Aufbauend auf den neuesten Erkenntnissen der amerikanischen Kulturanthropologie, will der texanische Ethnograph McCormack in Anlehnung an Clifford Geertz' Konzept der „Sick Description“ eine wirklichkeitsnahe Erkundung der sozialen Logik des Bayerntums vorlegen. Er verspricht, den in der Erkundung Bayerns seit der Aufklärung vorherrschenden preußozentrischen Blick durch den „natives point of view“ zu ersetzen.

Angesichts der verlustreichen Forschungsgeschichte könnte ein solcher Blick der Komplexität bayerischer Stammesrituale und der Dynamik kultureller Praktiken erstmals gerecht werden und damit auch den Autor vor dem traurigen Los seiner früheren Kollegen bewahren. Doch McCormacks Analyse — um es vorwegzunehmen — hält nicht ganz, was sie verspricht. Anstatt die Fremdartigkeit und Polymorphie dieser Kultur mit sensibler Behutsamkeit zu erkunden, neigt der Autor zu oberflächlicher Beschreibung und texanisch-grobschlächtiger Deutung.

Glücklicherweise hat die Rezensentin während ihrer jahrelangen Feldforschungen im Bayerischen einen der letzten mit der preußischen Zivilisation bislang kaum in Berührung gekommenen Stammesangehörigen aufgespürt. In einer komplizierten Untersuchungsanordnung gelang es, diesen Informanten, Bertl Heppoldinger, seines Zeichens Klostergärtner in Ettal, zu einer selbstreflexiven Auseinandersetzung mit dem Opus des texanischen Ethnographen zu bewegen. Seine im folgenden auszugsweise wiedergegebenen Kommentare — da das Bayerische in der Regel ein orales Kommunikationsverfahren ist, wurde bei der Transkription von Korrekturen abgesehen — belegen, daß der McCormacksche Ansatz zwar den bisherigen Preußozentrismus überwindet, letztlich jedoch die Alterität bayerischen Kultur nur begrifflos abbildet, anstatt sie empathisch nachzuempfinden.

Ja mei, wennst amoi 's lesn glernt host, na bist g'liefert. Daß dieser dahergelaufne Schreiberling sich als a texanischer Preiß ausgibt, zoagt, daß a woaß, daß mir Bayern net lang fackeln tatn, wenn man dawischertn. Dieser erlauchte Herr Ethnograf, der wo's bei uns net amoi zum Volksinspektor bracht hätt, was der verzapft, der hat ja ois durchanander bracht. Wahrscheinlich hat a nach am Informanten gfrogt, und na hams eam an Hydranten zoagt. Den hat a ozapft, und wei ma bei uns ois mit Bier löscht, hat a glei an fetzigen Rausch ghobt. Dann hams 'n zum Ausnüchtern aufs Revier gschleppt und dort wegen chronischer Überfüllung in der Asservatenkammer deponirt. Da hot a im Suff aus der konfiszierten Bibliothek, die wo am Professa Bosl g'hert hat, wahllos was zamg'schriem und in seim Suri ois Mögliche dazuphantasiert. Deshalb gibt's scho ebbas, was stimmt, aber no vui mehra, was net stimmt. An Unsrigen hat der nia net gseng. Der war weder aufm, no im Feld, der studierte Feigling, aber gschwoin daherredn konn a, der Herr Ethnograf, und endlos bledeln.

Im Unterschied zu McCormacks Behauptungen bezeugen diese Aussagen, daß der Bayern über die Fähigkeit verfügt, komplexe Akkulturationsprozesse präzise zu beschreiben. Daß auch die Herausbildung subregionaler Identitäten zum Kernbestand der spezifischen sozialen Logik dieser Ureinwohner gehört, macht die folgende von Herrn Heppoldinger in gebärdenreicher Sprache und zuweilen mit erregter Stimme vorgetragene Sentenz augenscheinlich.

Wos unseroan sofort narrisch macht, daß der Herr McCormack überhaupt net gspannt hat, daß zwischn am Bayern und am Frankn genauso vui dazwischn liagt wia zwischn am Schotten und am Engländer. Des het eam eigentli schon an der Sproch auffoin kenna, aber die vasteht a eh net. Wer an Waigel mitm Franz Joseph vergleicht, der müaßt's do gleich merkn. Der macht die CSU kaputt, da huift a koa marianischer Streibl nix.

Nicht minder aufschlußreich sind die folgenden Ausführungen von Heppoldinger, machen sie doch deutlich, wie sich historische Erinnerung in Form ritueller Festschreibung tradiert und daß der Bayer über eine faszinierende Vielfalt gesellschaftlicher Sanktionen verfügt.

Warum hat der Texaner, wann a si scho an Ethnograf schimpft, unsre Stammesrituale net genauer beobacht? Über die kriagt ma doch so vui raus. 's Fensterln werd beiläufig als Balzritual erwähnt (S. 178), dawei is des a ganz kompliziater, gar net so ungfährlicher Übergangsritus, dem sogar der van Gennep net so recht auf die Schlich kemma is. Dichterisch wurde der vielfach umschrieben, z.B.: „Vorm Diandl sein Fensta / Hat's a Eisplatt'n gmacht / Wenn da recht' Bua nöt kimmt / Rutscht er aus bei da Nacht.“ Ganz vergessa hat a den ganz wichtigen Initiationsritus des Leiterlns: Wenn a Bua so oid gworn is, daß a glaubt, er ko, dann muaß er dreimal a Leiter raufsteigen, di wo an nix net oglehnt is, und wenn a si dabei 's Gnack net brocha hat, dann erst derfa nach am Madl schaung.

Dann gibts hinten in Kreith 's Wadlbeißn. Wahrscheinli hams des früha oiwei nach ra Mißernten vor der Kirch praktiziert. Heit kommts no manchmoi vor, wenn z'vui Zuageroaste uf oam Fleck zamasteng. Dann schreins laut Kruzitürkn dazu. Ganz was anders is dagegn as Madlbeißn, des heit nur noch als Touristenattraktion um den Tegernsee herum vorkimmt. D' Großmuatta vom Reitl Sepp hot mir verzählt, daß des do ham, wenn de Weiber nimma woin ham und z'weng Nachwuchs kemma is. Leider ham heit bei uns in der Hinsicht die Mannsbuider a scho resigniert, wahrscheinli weng dera spinnaten Agrarpolitik in Brüssel, die wo die Milchquoten immer mehr eischränkt.

Koa Wunda, daß a des allerboarischste Umkehrritual net kennt, as „Wiedergehn“, des wo's heit nur no obn in Oberenzensberg gibt. Wenn's oaner ganz schlimm treibt, wenn am andern sei Bier austrinkt oder si beim Deiteln beim Watn dawischen läßt z.B., dann werd a zum Dorffeind erklärt, und für a Woch derf's eam a jeder zoagn. Da sans dann net zimperlich und sei Lebn is koan Pfifferling net wert. Doch wenn a des überlebt, dann konn eam nach dera Woch koaner mehr was, und in da Kirch derf a si a wiader blickn lassn.

Auch über die komplexen Wechselbeziehungen zwischen hoher und niederer Kultur vermag unser Informant Interessantes zutage zu fördern. Dabei wird deutlich, daß die Trinkkultur nach wie vor zu den zentralen und ausgeprägtesten Formen der Daseinsbewältigung gehört.

Überhaupt hot a von unsara Kuitua kaum a Ahnung. Im Kapitel über die Dichtkunst schreibt a an Riesenschmarrn zam, aba koa Wort über die bayrische Literaturform schlechthin, s'Schnadahüpf'l (des erwähnt er — warum nur? — im Kapitel über den Tanz, wo er dafür den Watschntanz vergessn deat). I hob jetzt koa Lust, hier das hohe Liad aufs Schnadahüpf'l z'singa. Statt dem zitiri oans aus a Sammlung von 1891 aus Miesbach: „D'Liab is a Feuer / Dös sel' feits si' nöt / Aba dengerscht koa Supp'n / Kocht ma damit.“ Kürza, scheena und bessa ko koa Preiß des net ausdrückn.

Mit da Geographie hot a's a net. Verwechselt a glatt (S. 177) Hinterzarten drenten im Schwarzwoid mit Hinterstößel hinten am Sudelfeld. Des is ja genauso, wia wenna an Heidegger aus Meßkirch mitm Valentin aus Altötting durchananderbracht, der wo unser Stammphilosoph is zamm mit da Lisl. Von dene sel sagt a garnix, oba de warn für an Ethnograf eh z' hoch.

Oiso, für de Bibliothek von meim Trachtenverein schaff i so a Pamphlet wirkli net o, net nur, weil der gar koane net hat, sondern weil der McCormack nur lauter saudumme Witz reißt. De Preißn san so deppat, bei dene macht a vielleicht a Gschäft damit. A jeda von uns ko si doch ausrechna, daß a für des, was des Buach koost, genau 4,8 Wiesnmaß kriagt. Des san so um de 4 Liter Bier, die genga in a hoibn Stund runta. Mit dem seichten Gschwätz von dem Texaner aber muaßt di a paar Wocha rumschlagn und nacha host an Durscht für zwoa ganze Faß. Mei Resüme: Liaba tiaf ins Glas schaung als „Tief in Bayern“ lesn.

Wenig bleibt diesen Ausführungen des „native“ hinzuzufügen, zumal wir uns genötigt sahen, die Feldforschungen frühzeitig abzubrechen, nachdem uns Bertl Heppoldinger neben einigen Votivbildern auch seine Gamsbartsammlung vorführte: Eine mikrovolksbiochemische Analyse ergab, daß das jüngste Exemplar dieser Sammlung eigentümliche Ähnlichkeiten mit den Körperhaaren eines unlängst am Fuße des Hohenpeißenberg verschollenen Kollegen hatte. Und doch zeugt auch dieser Fund nicht, wie McCormack Glauben machen möchte, von der Langlebigkeit kannibalischer Rituale, sondern von der Vitalität und Widerspenstigkeit einer eigensinnigen Volkskultur.

R.W.B. McCormack: Tief in Bayern. Eine Ethnographie. Die Andere Bibliothek im Eichborn Verlag, 296 Seiten, gebunden, 36 DM

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