piwik no script img

Warum in die Ferne schweifen?-betr.: "Zwangsarbeiter in China prodizieren auch für Deutschland", taz vom 20.4.91

betr.: „Zwangsarbeiter in China produzieren auch für Deutschland“, taz vom 20.4.91

„Eine große Zahl von Gefangenen wird unter unmenschlichen Bedingungen zur Produktion von billigen Exportgütern gezwungen; die chinesische Regierung beutet die Arbeitskraft von Häftlingen systematisch aus; diese Zwangsarbeit ist ein zentrales Element der chinesischen Politik; enorm große Zahlen werden zur Arbeit gezwungen und die Arbeitsbedingungen seien schlecht oft lebensgefährlich; die Kosten lägen zehn bis 20 Prozent niedriger als für normale Arbeiter.“

Ich will diese Feststellung durchaus nicht in Abrede stellen — doch: Warum in die Ferne schweifen? Der deutsche Inhaftierte wird ebenso zur Arbeit gezwungen. Geht er nicht, erwarten ihn restriktive Maßnahmen; in manchen Anstalten setzen gar unlautere Willkürakte gegen die der Freiheit beraubten Menschen ein. Daß der Schlagstock kaum noch die Szene beherrscht, ist wohl hinlänglich bekannt, doch Psychoterror ist mindestens genauso häßlich. Die diversen Spielchen sind bekannt.

Bei den Arbeiten in deutschen Justizvollzugsanstalten handelt es sich um volkswirtschaftlich dienliche Arbeiten, in vielen Betrieben wird das gleiche gefertigt wie in den Fabriken außerhalb der Mauern. Nur der Gefangene muß arbeiten, auch wenn draußen die gleiche Arbeit bestreikt wird. Indirekt wird dem Gefangenen dann die Rolle des Streikbrechers aufoktroyiert.

Während frau/man draußen für bessere Löhne, mehr Urlaub, weniger Arbeitszeit, bessere Arbeitsbedingungen etc. kämpft, müssen Gefangene durch Mehrarbeit teilweise dagegen powern. Hier hilft nur eines: Die arbeitenden Inhaftierten müssen für einen adäquaten Mitgliedsbeitrag einer Gewerkschaft angeschlossen werden!

Inhaftierte bekommen für ihre Arbeit ein kärgliches Entgelt von ca. einer DM pro Stunde. Ein Drittel wird festgelegt und zwangsverwaltet, der Rest steht dem Gefangenen zur Befriedigung der Minimalbedürfnisse zur Verfügung (etwa 110 DM monatlich). Damit kann kein ordentliches Sparpolster gebildet werden, damit ist keine Unterstützung der Familie möglich, damit können keine Schulden abgebaut werden...

Obwohl die Justiz für jeden Gefangenen eine ganz hübsche Summe vom Arbeitgeber erhält, davon lediglich eine einzige Mark Stundenlohn an den Gefangenen weitergibt, ist sie immer noch nicht dazu übergegangen, Rentenbeiträge abzuführen. Ein Lebenslänglicher arbeitet 15 Jahre und länger, er arbeitet wie jeder andere Bürger und doch entsteht bei ihm ein Rentenloch, das nicht wieder zu stopfen ist. Die Zeit zählt nicht einmal als anrechnungsfähige Zeit. Somit ist der Sozialfall nach der Entlassung vorprogrammiert, ein Leben am Rande des Existenzminimums, und somit besteht eine erhebliche Gefahr des Rückfalls in die Kriminalität. Das reformierte StVollzG von 1977 hat schon damals festgeschrieben, daß die Eingliederung in die Rentenversicherung später zu einem bereits bestimmten Zeitpunkt erfolgen soll. Doch auch dieser Zeitpunkt ist um viele Jahre überschritten, und immer noch nicht ist das Gesetz in Kraft.

Da nicht tarifgerecht entlohnt wird, ist der Inhaftierte auch nicht krankenversichert. Somit hat er auch nicht die Möglichkeit, einen Arzt seiner freien Wahl zu konsultieren. Der frei gewählte Arzt ist in erster Linie dem Patienten verpflichtet und rechnet seine Kosten mit der Kasse ab; der bedienstete Anstaltsarzt hingegen ist in erster Linie seinem Arbeitgeber, der Justiz, verpflichtet. Dadurch ist faktisch die Devianz erklärt: Sicherheit vor Gesundheit.

Und dann ist da noch die Sache mit dem Kranksein und dem Urlaub. Gefangenen werden nur die Zeiten bezahlt, an denen sie tatsächlich bei der Arbeit sind. Wenn der Abteilungsleiter im Unterkunftsgebäude den Gefangenen zu einem Gespräch aus dem Betrieb ruft, ist das eine unbezahlte Fehlzeit. Auch Krankzeiten sind sogenannte Fehlzeiten und werden nicht bezahlt. Hat der Gefangene mehr als 18 Tage Fehlzeit, wird ihm der ganze Jahresurlaub versagt. Das gilt auch, wenn der Gefangene keine Schuld an dem Zustandekommen der Fehlzeit hat (zum Beispiel kein Material gekommen ist, der Gefangene deshalb auf seiner Zelle bleiben muß). Nochmals: Der ganze Urlaub wird einfach verwehrt. Einen anteiligen Urlaub oder eine Verlängerung des Berechnungszeitraumes um die Zahl der Fehltage kennt das StVollzG und die VV/AV nicht.

Ich meine, wenn aus „Gestrauchelten“ ordentliche Menschen werden sollen, dann muß man sie zumindest im Erziehungsprozeß ordentlich behandeln. Insofern stehen wir also als Deutsche den Chinesen nichts nach. Es gibt viel zu tun, packen wir's an. Hans Abheiden, Celle

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen