DER TREND ZUM NOBODY

■ Willy Becker for President!

Oggersheim ist rot, der „Kanzler verlor seine Heimat“ ('Bild‘), die Wende ist am Ende. Nur dem Vorziehen der gesamtdeutschen Blitzwahl und der plumpen Steuerlüge verdankt die CDU, daß sie im Bund noch ein bißchen regieren darf. Aber auch hier scheint die Birne reif — zwar hofft Helmut Kohl noch, daß bis zur nächsten Kanzlerwahl in drei Jahren der „Aufschwung Ost“ doch noch sichtbar werden und ihm die Wähler wieder zutreiben möge. Allein, was helfen Wahlstimmen aus dem Osten, wenn im Westen die Leute reihenweise weglaufen. Wo sich schon in katholisch-konservativen Bastionen wie Hunsrück und Eifel Zweifel regen, wer wird dann anderswo noch christdemokratisch wählen? Auch die letzte CDU-Gruft, Baden-Württemberg, wo in einem Jahr gewählt wird, ist seit dem Späth-Skandal sturmreif. Wenn es so weitergeht — und nichts deutet daraufhin, daß der Trend sich umkehrt — wird der nächste Kanzler Engholm (oder Lafontaine) heißen. Oder Willy Becker. Sie kennen keinen SPD-Politiker namens Willy Becker? Das macht nichts — er könnte trotzdem der nächste Bundeskanzler werden.

Das Interessante an den jüngsten Wahlergebnissen ist, daß es auf Personen und Namen offenbar gar nicht mehr ankommt. Kein Mensch kannte Hans Eichel bevor er hessischer Ministerpräsident wurde, Rudolf Scharping war bis zum Sonntagabend selbst in weiten Teilen der Pfalz und des Rheinlandes ein unbeschriebenes Blatt. Das Bild des Volksvertreters scheint sich zu wandeln — nicht mehr den herausragenden „Persönlichkeiten“, sondern den Nobodys, den Gesichts- und Namenlosen wird das Vertrauen ausgesprochen. Statt strahlendem Charisma ist freundliche Unauffälligkeit gefragt, statt schlagfertiger Rhetorik eher Sachlichkeit und Disziplin sowie eine Optik, die angesichts ihrer Normalität eher zum Vergessen, als zum dauerhaften Einprägen animiert. Auch in dieser Hinsicht, und trotz Scharpings Bart, gleichen sich die neuen Regierungschefs in Wiesbaden und Mainz wie ein Eichel dem anderen.

Die Entwicklung bei den Grünen scheint ebenfalls für diesen Trend zum Nobody zu sprechen: In Rheinland-Pfalz stehen sie ohne irgendeinen „Promi“ weit und breit kaum schlechter da als in Hessen mit dem Zugpferd Joschka. Die nach der Bundeswahlschlappe bei den Grünen gegenwärtig entfachte „Personaldebatte“ kann daraus nur lernen: Nicht medienwirksame Engagiertheitsdarsteller, sondern unscheinbare Normalos sind im Kommen. Die grüne Top-Kandidatin Waltraud Müller, die niemand kennt, kann unter Becker Außenministerin werden, selbst wenn sie, wie ihr Vorgänger Genscher, bei Amtsantritt kein Wort Englisch, kein Französisch, sondern ausschließlich Sächsisch spricht.

Darf man aus dem Trend zum Nobody einen weiteren, den zur Ent-Emotionalisierung der Politik ableiten? Man könnte ihn zumindest ein bißchen herbeireden: Wie ein Ende des Automobil- Wahnsinns erst abzusehen ist, wenn das emotionale Engagement, daß dem Auto entgegengebracht wird, auf das Niveau sagen wir einer Waschmaschine gesunken ist, kann auch die Politik nur gewinnen, wenn ihre Agenten von emotinoal befrachteten Schicksalsträgern zu selbstverständlichen Gebrauchsgegenständen werden. Zu funktionierenden Dienstleistern, von denen man keine großen Sprüche und prallen Gebärden, sondern schlicht gute Arbeit erwartet — wie von einen No-Name-Produkt. Das spart nicht nur Unsummen von Werbekosten für die permanenten Schönheitswettbewerbe, sondern zeugt auch von einem bewußteren, souveräneren Umgang des Individuums mit seinen Werkzeugen. Auch mit denen, die er nur durch vierjährige Ein-/Ausschaltung an der Wahlmaschine in Gang hält.

WILLYBECKERFORPRESIDENT!