: Des Wahnsinns fette Beute
„Es“ und „Misery“ — Neue Stephen-King-Verfilmungen ■ Von Karl Wegmann
Stephen King hat sein Leben und sein Bankkonto der Aufgabe gewidmet, den Leuten Angst einzujagen.
Seit ein paar Jahren sind seine einst scharfen Zähne jedoch stumpf: Kings letzte Bücher Drei, Stark — The Dark Half und Langoliers sind nur noch blasse Abziehbilder seiner früheren Gruselschocker. Dafür klappt es mit dem Geldverdienen immer besser. Für ein neues Buch kassiert der „King of Horror“ inzwischen einen Vorschuß von zehn Millionen Dollar — noch bevor er auch nur eine einzige Zeile geschrieben hat.
Zu den Verfilmungen seiner Bücher hegt Stephen King ebenfalls eine sehr pragmatische Einstellung. „Mir liegt ein ziemlicher Scheißdreck an Filmen, um ganz ehrlich zu sein“, verriet er schon 1980. „Was Verfilmungen meiner eigenen Werke anbelangt, so habe ich immer nur eines versucht, nämlich soviel Geld wie möglich herauszuholen.“
So hatte er auch keine Hemmungen, die Rechte an seinem wohl besten Roman Es an eine Fernsehgesellschaft zu verscherbeln. ABC Television Network machte aus dem grandiosen Werk über die Angst in all ihren Erscheinungsformen eine vierstündige Fernsehproduktion. Und, man glaubt es kaum, Regisseur Tommy Lee Wallace hat es geschafft, die Atmosphäre des Buchs auf den Bildschirm zu transportieren.
Natürlich konnten nicht alle Aspekte und Feinheiten des knapp 1.000 Seiten dicken Wälzers gezeigt werden, auch die regelmäßigen Abblendungen (für die Reklame-Einspielungen) erhöhen nicht gerade den Genuß.
Trotzdem ist Es, für einen Fernsehfilm, eine beeindruckende Leistung: Als kindermordenden Clown Pennywise hätten sie keinen besseren finden können als Tim „Frank'n'Furter“ Curry. Bei uns ist der Streifen als gekürzte, dreistündige Videopremiere erschienen.
Bleibt zu hoffen, daß sich ein Sender findet, der den Film kauft. Und zwar mit der fehlenden Stunde.
Viele berühmte Regisseure wie Brian de Palma, Stanley Kubrick, George A. Romero, John Carpenter oder David Cronenberg haben sich an King-Phantasien versucht. Die bisher beste Adaption gelang Rob Reiner, der 1986 Stand By Me nach einer Kurzgeschichte des Autors auf die Leinwand brachte. Und Reiner, der zuletzt mit seiner lockeren Komödie Harry und Sally Triumphe feierte (sie enthält immerhin den schönsten Orgasmus der Filmgeschichte), hat sich abermals in einen Kingschen Alptraum gestürzt.
Misery heißt das Schauermärchen und erzählt von einem Schriftsteller und seiner größten Verehrerin: Paul Sheldon (James Caan) verdient seine Brötchen mit dem Schreiben von schmalzigen historischen Liebesromanen.
Doch damit soll Schluß sein. Obwohl seine Agentin (Lauren Bacall) dagegen ist, läßt er seine Heldin Misery Chastain sterben und verfaßt ein „ernsthaftes“ Buch. Mit dem neuen Manuskript auf dem Beifahrersitz hat er einen schlimmen Autounfall. Die ehemalige Krankenschwester Annie Wilkes (Kathy Bates) findet den Bewußtlosen, schleppt ihn auf ihre einsame Farm und pflegt ihn.
Als Sheldon nach drei Tagen das Bewußtsein wieder erlangt, gibt sich Mrs. Wilkes als glühender Misery- Fan zu erkennen. Natürlich ist sie ganz und gar nicht damit einverstanden, daß „ihre“ Heldin sterben soll. Allmählich dämmert es dem hilflos ans Bett gefesselten Autor, daß er sich in den Händen einer Psychopathin befindet.
„Ich war in einer ähnlichen Lage wie Protagonist Sheldon“, behauptet Regisseur Reiner. „Ich war in den USA ein bekannter TV-Star, der aus seiner Rolle ausbrechen mußte, um Filmregisseur zu werden. Ich hatte Probleme mit den Fans, und ich wußte auch,was Fans manchmal tun. Ich erinnere nur an den Lennon-Killer Chapman.“
Die im Buch beschreibenen Verstümmelungsszenen sind in den Film allerdings nicht übernommen. Rob Reiner und der brillante Drehbuchautor William Goldman wissen, daß es viel schockierender sein kann, von Blut zu erzählen, als es kübelweise zu verschütten. Es gibt ein paar drastische Szenen, aber Misery ist weit entfernt vom Splatter-Horror.
Misery ist ein zwei Personen- Stück, Angst und Spannung zu erzeugen, ist daher Aufgabe der beiden Hauptdarsteller. James Caan hat es besonders schwer, muß er doch die meiste Zeit in der Horizontalen agieren, auch seine Mimik läßt zu wünschen übrig. Kathy Bates jedoch führt die Zuschauer beängstigend realistisch in die düstere Welt der Geisteskrankeit.
Ihre Annie Wilkes ist mal ein kichernder Backfisch, mal die fürsorgende Krankenschwester und in der nächsten Sekunde eine sabbernde Irre.
Mit dieser Rolle verdiente sie sich den Golden Globe und den Oscar als beste Schauspielerin. Wir werden sie hoffentlich bald wiedersehen.
So sollten Horrorstorys erzählt werden: Mit einem Minimum an Schockeffekten, doch mit psychologisch ausgfeilten Charakteren, die mit ihren Worten das Grauen wie Schlangen in den Kinosaal schicken, wo es langsam am Rücken des Zuschauers hochkriecht und sich im Nacken festkrallt.
Einige Außenaufnahmen zu Misery wurden übrigens in der Wüste von Nevada gedreht. Genau an der Stelle, wo vor 150 Jahren eine Siedlerkarawane in einen Sturm geriet. Die Überlebenden waren gezwungen, sich gegenseitig aufzuessen.
Rob Reiner: Misery , mit Kathy Bates, James Caan, Lauren Bacall u.a.; USA 1990, 107 Min.
Tommy Lee Wallace: Es , Warner Home Video, USA 1990, 180 Min.
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