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„Bewesch den Arsch, Herr Major!“

Die Berufssoldaten der ehemaligen Nationalen Volksarmee sind ins Nichts gefallen — manche liebäugeln mit den Republikanern  ■ Aus Erfurt Henning Pawel

In allen sozialen Schichten der einstigen DDR gärt es. Nicht nur die enttäuschten Arbeiter- und Bauernmassen beginnen sich rückwärts zu orientieren. Die Verklärung einer Zeit, in der sie fast pausenlos als führende Klassen hofiert wurden und, wie effektiv auch immer, den Status angesehener und sozial gesicherter Menschen genossen, ist in vollem Gange. Handwerker und Geschäftsleute sind verzagt. Die Geschäfte gehen nicht wie erhofft. Die der Alteingesessenen nicht. Die Newcomer von drüben bringen wesentlich mehr auf die Waage. An Geld, Dreistigkeit und besten Beziehungen.

Die Intelligenz schweigt noch immer. Das Schweigen aufgeben aber wird nun bald eine Gruppe, die — gewollt oder ungewollt — wesentlich zum positiven Ausgang der friedlichen Volkserhebung des Herbstes 1989 beigetragen hat: Die Offiziere und Berufssoldaten der einstigen Nationalen Volksarmee.

Gegen alle Tradition und alle historischen Erfahrungen haben sie sich verhalten. Anders als es deutsches Militär zu allen Zeiten und immer getan hat — dem jeweiligen Regime bis 5 nach 12 zu dienen. Die NVA erwies sich in ihren letzten, aber wohl wichtigsten Stunden endlich des Namens würdig, sie brach mit ihrer Tradition als Jubel-, Parade- und Ideologietruppe. Für einige entscheidende Stunden wurde sie wirklich zur Volksarmee und war eben deshalb nicht gegen das Volk zu hetzen. „Die Wehrmacht“, sagt Lothar S., NVA-Oberstleutnant a.D., „hatte keine Skrupel, 16jährige Jungens, die Angst hatten und nach Hause wollten, noch im Mai 1945 an die Bäume zu hängen oder zu erschießen.“ „Aber“, so fährt er fort, „die Richter und Exekutoren wurden wenig später mit hohen Renten oder hohen Kommandos der Bundeswehr bzw. mit Regierungspalästen belohnt. Herr Filbinger bekommt als Marinerichter und als Ministerpräsident sicher eine Rente, die etwas höher liegt als meine 1.400 Mark Invalidenpension. Von der ich, man hat es mir rotzig genug am Telefon mitgeteilt, ab Januar 1991 nun auch noch meine Sozialvesicherung zu zahlen habe. Ich hab halt niemanden erschießen lassen und rundweg den Einsatzbefehl gegen Demonstranten abgelehnt. Aber...“, der von schwerer Atemnot gequälte Offizier winkt ab, „ich bin Gott sei Dank Asthmathiker. Man sieht und hört es und man kam nicht an meiner Invalidisierung vorbei.“ „Andere aber“, er nennt einen Namen, „werden nun behandelt wie die letzten Penner und Asozialen. Kein Türke würde sich das gefallen lassen.“

Kein Rentenanspruch nach 24 Jahren

Das angesprochene Schicksal hat mich interessiert und ich mach mich auf die Suche. Jener Mann ist ein Major, ebenfalls a.D., Artillerist. 7.000 Mark hat man ihm nach vierundzwanzigeinhalb Jahren Armee mit auf den Weg gegeben. Keinen Rentenanspruch, gar nichts. Seine Wohnung: dreieinhalb Zimmer im 5geschossigen Altneubau aus den 60iger Jahren. Zwölf Familien wohnen im Haus. Eine Frau mit müdem Gesicht öffnet, schließt sofort wieder, als sie Presse hört. Der Hausmeister teilt boshaft grinsend und natürlich streng vertraulich mit, wo ich den Major finde. Beim „Sommergewinn“, einem in Thüringen bekannten Frühlingsfest. Er verkauft, von einem Hessen beaufsichtigt, Bratwürste. „Bewesch de Arsch, Herr Major“, höre ich schon von weitem. Streng ist der Unternehmer zu seinem Untergebenen. Und alle, auch jene, die es gar nicht wissen wollen, erfahren unaufhörlich den militärischen Rang des Domestiken. Der hessische Mistkerl genießt die Macht und blinzelt der Kundschaft komplizenhaft zu. „Hier muß me arbeite, net wahr. Die Gammelei von früher, des geht fei nischt mehr.“ Ich frage den Herrenmenschen, wann er zum letztenmal seine Senftube in die Fresse bekommen hat, warte aber gar nicht erst die Antwort ab. Leider zittern mir die Hände zu sehr und ich verfehle die Visage. Der Verfehlte kreischt nun von „Seilschafte, was sisch schon wieder resche in Deutschland“. Dann bekommt der Major sein Fett. „Des hab isch nu von meine Gutmüdischkeit. Pack dei Sach, schwirr ab.“

Der Mann packt. „Ich habe ein behindertes Kind“, teilt er mir sachlich mit. „Das muß von etwas leben.“ Ich schäme mich jetzt. Drohe dem Hessen mit der Presse und der Bundeswehr. Die nämlich, ist zu hören, benimmt sich fair in den neuen Bundesländern gegen den besiegten Feind. Hat zwar nicht viel im Sinn mit der geschlagenen Proletenarmee, aber sogar von Ritterlichkeit und Verständnis ist mitunter die Rede.

Auch die Bratwurstkundschaft murrt nun. Alle wissen, daß der Adressat jener Demütigung nicht allein dieser aschfahle, gepeinigte Offizier ist. Alle, sofern hiesig, sind sie gemeint gewesen und alle fühlen sich getroffen. Der Hesse, wie ein erfahrener Imker, der das bedrohliche Summen im Bienenstock richtig zu deuten versteht, lenkt jetzt ein. Spaßig erklärt er, „Gnade vor Rescht ergehe lasse zu wolle. Meinetwesche derf de Major weitermache. Komm Bub, ran an die Wörscht.“ Doch der will nicht mehr.

„Profilierungsneurotiker in der Bürgerbewegung“

Wir fahren in eine Gastwirtschaft, offensichtlich Treffpunkt vieler einstiger Militärs. Auch der Asthmatiker findet sich ein. Mit ihm ein Kamerad, Mathematiker, einstiger Chef einer Raketenabteilung, heute Pförtner in einer großen Bank. Ein blonder langer Leutnant auch in der Gesellschaft.

„Den Wurstmann wird man sich ansehen müssen“, sagt er mit gefährlicher Ruhe. „Wir haben die Waffen zu früh abgegeben“, keucht der Asthmatiker und schiebt dem Major einen Kognak zu. „Der Teufel muß uns geritten haben, damals im Herbst 89, den Plüschfritzen aus den Bürgerbewegungen Glauben zu schenken. Ein paar Schüsse in die Luft und diese Profilierungsneurotiker wären gelaufen wie die Hasen. Das große Maul hatten sie, sonst gar nichts. Und darüber ist dieses ganze Land vor die Hunde gegangen.“

Immer mehr „Ehemalige“ kommen nun an den Tisch. Kaum noch einer nimmt ein Blatt vor den Mund. Jeder hat eine Neuigkeit. Keiner eine gute. „Generalmajor L. eröffnet eine Wach- und Schließgesellschaft. Dieser Bauer fällt auch immer auf die großen Trampelfüße.“

Die einstigen medizinischen NVA-Einrichtungen, heute dem Bundeswehrkommando Ost zugehörig, behandeln keine NVA-Rentner und -Invaliden mehr. Die Kleingärten, meistens Pachtland und häufig in Nähe von Übungsplätzen, sind nun auch in Gefahr. Die Teilrente, als Überbrückungsgeld gedacht zwischen Abschied vom aktiven Dienst und Pensionierung, wird nicht mehr gezahlt. Auch in den Genuß der bisherigen Rentenerhöhungen kommen die pensionierten Soldaten nicht. Demütigungen in Permanenz. Ein alter Hauptmann bringt es auf den Punkt. „Die Russen konnte man nicht bestrafen für die deutsche Niederlage 1945. Mit uns wurde nun endlich jemand gefunden, der dafür geradezustehen hat. Wir haben verstanden, daß die Menschen hier nicht mehr wollten und nicht mehr konnten im Herbst 89. Und obwohl alle in der Truppe wußten, was sie erwartet, war keiner auf die Demonstranten zu hetzen. Dafür haben wir nun zu zahlen. Guderian, Manstein, Kesselring und wie sie alle hießen, starben auf ihren Rittergütern in der Bundesrepublik. Mit Feldmarschallsrente. Die waren zwar auch Verlierer, aber auf der richtigen Seite. Wir, die neuen Verlierer, zwar ohne Ruinen und Leichenberge, aber auf der falschen Seite, werden in unseren Mietwohnungen sterben. Wenn man sie uns läßt und wenn wir die Mieten künftig noch zahlen können.“

„Da haben andere noch ein Wörtchen mitzureden“, sagt wieder jener junge blonde Leutnant. „Ihr“, skeptischer Blick zu den alten Kameraden, „habt wirklich die Waffen zu früh abgegeben. Es soll aber auch Leute geben, die sie behalten haben.“ Sprachs und brach auf, gen Strausberg bei Berlin. Einstiger Sitz des DDR-Verteidigungsministeriums. Kürzlich von Herrn Schönhuber auserkoren als Parteitagsort der Republikaner. Unter den Delegierten sollen nicht wenige Ehemalige der einstigen NVA gewesen sein. Leutnants und höhere Chargen.

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