: Nichts zu sehen, umso mehr zu hören
■ 4. Werkstatt Elektroakustischer Musik in den beiden Akademien der Künste
Auf der Bühne ist nichts. Konzerte mit Tonbandmusik sind in der Regel Askeseübungen für den Hörer, denn das Podium — normalerweise die Arena für den erregenden Kampf von Musikern gegen Instrument und Notentext — ist leer. Der Hang, technisches Gerät zu miniaturisieren, hat von den einstigen Lautsprechertürmen nur noch dezente Kleinkörper im Hamsterkäfigformat übriggelassen. Da sich eine visuelle Gestaltung durch Bühnenbild und Lichtregie für die Präsentation dieses Genres noch nicht durchgesetzt hat, gibt es daher, außer den sanft wiegenden Köpfen in den vorderen Reihen, nichts zu sehen. Umso mehr aber ist zu hören.
Die elektronische Musik hat aus Komponisten Helden gemacht, Pioniere, die sich in das Unbekannte der unerhörten Klänge vorwagten (so haben sie selbst es empfunden) und das Grauenerregende entdeckten (so haben es die Kritiker genannt). Knapp vierzig Jahre nach Aufbruch der Expedition ist das Unbekannte Alltag geworden, rar geblieben sind nur die Tonbandkonzerte. Diesem Mißstand abzuhelfen, hat sich nun eine deutsche Sektion der C.I.M.E. (Confédération Internationale de Musique Electroacoustique) gebildet und die Förderung und Verbreitung der elektroakustischen Musik zu ihrer Mission erhoben. Am 28.April ist die offizielle Gründungsversammlung und, um die Absichten sogleich durch Praxis zu belegen, ist sie in die »4.Werkstatt Elektroakustischer Musik« eingebettet.
Das ist etwas verwirrend (Uninteressierte können diesen Absatz schadlos überspringen), aber: die Sektion DDR hatte sich schon 1987 zur C.I.M.E. gesellt und bereits drei Werkstätten eingerichtet. Eine kleine Anmerkung zur Satzung: Komponisten, Wissenschaftler, Tontechniker, Interpreten und Ensembles können die Mitgliedschaft erwerben. Doch, wenn schon die Neue Musik es in hohem Maße nötig hat, ihrem Publikum nahe gebracht zu werden, wieviel wichtiger wäre es, die Vermittlung elektronischer Musik mit großen Lettern auf die Fahnen zu schreiben, zumal der Verdacht nicht immer unbegründet ist, daß selbst die Komponisten sich den Tontechnikern nur schwer verständlich machen können.
Jetzt wieder für alle. Konzerte, Vorträge und Werkstattbesuche bieten auch dem wißbegierigen Nicht-Fachmann Ansätze zur Materie. Von den neun Vorträgen ist manches nur für Kenner und Liebhaber gedacht (um Beispiele zu nennen: »Analyse und Interpretation in der algorithmischen Komposition« oder »Die Analyse elektronischer Musik zwischen Strukturalismus und Hermeneutik«), aber ein so brillianter Kopf wie Konrad Boehmer (»Vom Un-Sinn des Analysierens«) dürfte auch dem Uneingeweihten einige behaltenswerte Gedanken zuspielen.
Umso mehr aber ist zu hören, hieß es oben. Was wird zu Gehör gebracht? Klassiker der elektronischen Musik zum Beispiel am 26. April (17.30 Uhr, Akademie der Künste Ost). Gottfried Michael Koenigs »Essay« von 1957/58 stammt noch aus der Zeit, als die Sounds noch mühsam hergestellte Tonbandschnippsel waren, einzeln gefertigt und manuell auf ein Mastertape geklebt. Das erinnert an die Frühzeit der Comics, wo jeder Strip von dienstbaren Geistern handcoloriert wurde. Pierre Schaeffer, der Erfinder der »Musique concrète«, war bei seinen ersten Versuchen sogar auf die Verwendung von Grammophonen angewiesen, da die Tonbandmaschienen einfach noch nicht weit genug entwickelt waren. Die »Symphonie pour un homme seul« handelt vom Menschen und seinen Geräuschen, denn Geräusche bildeten das Zentrum des musikalischen Denkens von Schaeffer (und seinem Kollegen Pierre Henry). Ihnen verdankt diese Richtung ihren Namen, die Musik entsteht aus den konkreten Geräuschen des Alltags, sie ist Musik der Gegenstände. Einer der Sätze dieser Symphonie, »Erotiqua«, handelt von den Klängen, die bei nächtlichen Tätigkeiten im Schlafzimmer gelegentlich auftreten können. Da kann ein jeder kontrollieren, wie naturgetreu hier gearbeitet wurde.
Am gleichen Tage um 20 Uhr gibt es Beispiele aus einem anderen Genre, der Live- Elektronik. Es ist dies ein weitgefächerter Begriff, immer aber steht ein live-gespieltes Instrument im Mittelpunkt, dessen Klänge entweder verfremdet werden, von einem Computerprogramm begleitet werden oder, wie bei Konrad Boehmers »Cry of this earth«, sich zu einem Tonband gesellen. Gesungene und gesprochene Texte greifen politische und soziale Themen auf, die durch elektronische Klänge und ein Schlagzeug kontrapunktiert werden. Konzert und Hörspiel reichen sich (auf musikalischen Terrain) die Hände.
Das Studio STEIM aus Amsterdam (stellt sich am 27. April um 15 Uhr, in der Akademie der Künste West vor) unterscheidet sich von konventionellen Studios durch die Bastelfreudigkeit ihrer Mitglieder. Paradebeispiel ist Michael Waisvisz, der »The Hands« konstruiert hat, die den Datenhandschuhen aus der Cyberspace-Spielecke recht ähnlich sind, die es aber schon länger gibt. Sie sind das Werkzeug, um Computer zu behandeln, mit ihnen kann er sich zum Super-Dirigenten von einem Computer machen, der wiederum ein 96stimmiges Synthesizer-Orchester befehligt. Und hier wiederspricht das Ende dem Anfang, denn wenn Waisvisz auf die Bühne steigt, die Gloves anlegt und mit Armen und Händen beginnt die »Songs from the hands« zu spielen, ist er Boxer und Tänzer, nicht aber Nichts. Frank Hilberg
Konzerte Freitag bis Sonntag. Termine unter 'Musik'.
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