: Respektlos und autark
Der NDR präsentiert eine umfassende Reihe zum französischen „Cinéma Beur“ ■ Von Dietrich Kuhlbrodt
Das Wort „Arabe“ von rechts nach links gelesen und dann noch den Tonfall des Berberischen („Berbère“) im Ohr, dann sind wir ungefähr beim Namen dieser neu erfundenen Kinogattung. Mit dem korrekten Französischsprechen und -schreiben hapert es auch bei der zweiten Generation der algerisch-arabischen Immigranten. Das Theorem des Archimedes mutiert zum Filmtitel Der Tee im Harem des Archimedes. Andererseits versteht der jugendliche Held dieses Films die eigenen Eltern nicht: Die Mutter bedient sich einer ihm unbekannten Sprache (arabisch), der Vater sagt gar nichts (voll debil). Eine aggressive Komödie, in der die Einwanderungsgeneration (aus den Jahren bis 1962, dem Ende des Algerienkrieges) abgeschrieben ist.
Der Tee im Harem des Archimedes lief gerade im Fernsehen (N3), zwanzig andere Filme des französischen Beur-Kinos folgen in den nächsten Wochen. Niemand ist verpflichtet, die Filme dieser Reihe zu sehen. Respektlos und autark genug, verzichten sie ausdrücklich auf unerbetene Hilfe, zum Beispiel auf die unserer Dritte- Welt-Anwälte. Mahmoud Zemmouri hat mit seinen Filmen Nimm die 10.000 Francs und verschwinde (1980) und Die verrückten Jahre des Twist (1983) die offizielle Kultur Algeriens mit Fleiß lächerlich gemacht. Mehdi Charef (Der Tee im Harem des Archimedes, Camomille), Pariser Beur, lehnt es erklärtermaßen ab, sich mit einer Kultur zu identifizieren, die er nur vom Hörensagen kennt: „Wir sind keine Immigranten; wir sind Angehörige einer französischen Minderheit.“ Und Abdelkrim Bahloul (Pfefferminztee, 1984) zieht die „mediterrane Komödie“ einer platten Militanz vor, „die doch nur die erreicht, die schon überzeugt sind“: „Eines Tages werden wir Filme machen, die nichts mit dem Maghreb zu tun haben.“ Das wäre dann ein Film vom Geist der Blues Brothers, gedreht in den USA. Den Film gibt es längst: Rachid Boucharebs Baton rouge (1985).
Die Ausstrahlung eines Films wie Baton rouge macht deutlich, daß das junge französische Beur-Kino mehr mit dem jungen Jarmush oder mit dem jungen Kaurismäki zu tun hat als mit dem Inbegriff der arabischen Identität. In den Filmen dieser Reihe gibt es keine leidvolle Suche nach der eigenen Identität. Das Ergebnis steht von vornherein fest: Wir sind eine andere Generation als die unserer — arabisch/maghrebinischen — Eltern, und wir können durchaus auf die Erwachsenengeneration verzichten, ob algerischer oder französischer oder sonstiger Nation. Darum herrscht Schweigen in Farid Lahouassas kunstvoller Puppe, die hustet (1985) zwischen dem Jungen, der Mutter, die nach Algerien geht, und dem Vater, der in Paris bleibt. Und zwischen Okacha Touitas Geopferten (1982) und seinem Überlebenden (1987) gibt es keine Kommunikation. Mit den beiden Filmen setzt N3 an den kommenden Montagen die „Cinéma-Beur“-Reihe fort.
Zur Zeit des Algerienkrieges, in einer Pariser Bidonville, fallen die erwachsenen „Geopferten“ dem Bruderkrieg und dem repressiven System der algerischen Widerstandsbewegungen zum Opfer; befehlsgemäß erpressen sie Gelder; gehorsam hören sie auf zu singen, „weil unsere Märtyrer am Kämpfen sind“; nur sehr heimlich trinken sie einen Schluck, „weil ein Kämpfer nüchtern bleibt“. Sie handeln auf Befehl. — Fünf Jahre später gedreht, überlebt der junge „Überlebende“ in seinem Pariser Stadtviertel, weil er keinem Befehl gehorcht, sondern sich eigene Gesetze macht, den Drogenhandel inbegriffen.
Die Erwachsenengeneration, ob französisch oder algerisch, reagierte mit den gleichen Mitteln. Die französische Filmzensur gab Touitas Überlebenden nicht für seine Zielgruppe, sondern nur für Erwachsene frei. Vorwurf: Der Film spiele in Paris und nicht in Los Angeles. Daher sei der Jugend eine Identifikation mit einer Generation möglich, die von den Erwachsenen allein gelassen werde. Die „effets pervers“, die zu befürchten seien, gälten jedoch nicht für ein erwachsenes Publikum.
Die algerische Zensur verbot den Zemmouri-Film Die verrückten Jahre des Twist für jedes Publikum. Der Beur-Regisseur hatte sich der letzten Jahre bis zum Waffenstillstand von Evian (19.3.1962) angenommen, an Ort und Stelle gedreht und kein Tabu unberührt gelassen. Schon zwanzig Jahre später mußten sich die Revolutionsveteranen von diesem Beur ans Bein pinkeln lassen. Zwei Twistfans mit schwarzen „Rocker-Brillen“, karierten Hemden und geflickten Jeans stoßen in Algerien auf sauertöpfische Fundamentalisten, die in erster Linie das Alkohol- und Haschverbot durchsetzen wollen. Während Opportunisten und Wendehälse schnell und erfolgreich das Lager wechseln und die Helden beginnen, an ihrer Legende zu stricken, hören die Jungen die Shadows und Richard Anthony. Auch die Eltern definieren sich durch wenig politische Obsessionen: ein Tino-Rossi-Fan im Burnus oder ein Bogey-Fan nach einer Casablanca- Vorführung. Bei den Franzosen ist es Monsieur John Wayne, der die Polizei befehligt. Regisseur Zemmouri, zu seinen Filmen befragt, ist explizit geworden: „Das angeblich junge Algerien ist ein Land der Alten geworden, regiert von einer historischen Generation, die die Versprechen bricht, die sie der jungen Generation gegeben haben; die Zukunft meines Landes erstickt.“
Noch bevor ein Name für die neue Filmgattung gefunden war, hatte er 1980 mit dem Mittel der aggressiven Komödie die erstarrende algerische Gesellschaft angegriffen: einschließlich ihrer „kalten, überdidaktischen und allzu belehrenden politischen Filme“. Nimm die 10.000 Francs und verschwinde liegt quer zur offiziellen Geschichtsschreibung. Unheldische kleine Kollaborateure und aufrechte algerische Juden sprengen die starren Fronten zwischen der reinen islamischen Lehre und den imperialistischen Bösewichtern.
Die multikulturellen Beur-Filme haben keine Schwierigkeit, sich das wahre Bewußtsein im Falschen zu bewahren. „Frankreich ist mein Land, hier bleibe ich“, sagt Rachid Bouchareb (Baton rouge) im Einführungsessay zu dieser Filmreihe heute, 21.45 Uhr N3. Redakteur Jochen Wolf, dessen Verdienst es ist, den Beur-Filmen zu einem Sendeplatz verholfen zu haben, wirbt wohlmeinend und pädagogisierend, durchaus mit den falschen Gründen um Verständnis dafür, daß die Beur gar nicht mehr in ihre ausländische Heimat zurückwollen. Die Helden der Filme werden im Wut zu leben- Essay zu Opfern und Betroffenen; die Filmkomödien werden uns als Tragödien zum Anliegen gemacht, schließlich wird das Phänomen Beur zum Fall für den Psychiater. Ein solch studierter Herr sitzt des längeren vor der Kamera und erzählt das Gegenteil von dem, was in den Filmen zu sehen ist. Die Jung-Beur, die sich filmisch eindeutig von der Erwachsenengeneration des Algerienkrieges abgesetzt haben, setzen nun in der psychiatrischen Anamnese den Algerienkrieg der Erwachsenen „unbewußt“ fort, indem sie kriminell werden. — Machen wir doch gleich einen Fall für die politische Justiz draus... oder uns lieber erst ein Bild von den Filmen. Wenn sich zeigen sollte, daß uns gar kein „Fall“ Beur angedient wird, über den wir befinden müßten, könnten wir auch auf eine essayistische Ghettoisierung verzichten, die nur das Allerbeste wollte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen