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AIDS AUF DER PISTE

■ Unkonventionelle Safer-Sex-Kampagnen in Schweizer Touristenzentren

Unkonventionelle Safer-Sex-Kampagnen in Schweizer Touristenzentren

VonAndreasZumach

Hunderttausende von eidgenössischen und ausländischen Touristen besuchen jährlich die Schweizer Wintersportorte. Neben Sonne und Schnee suchen viele Männer unter ihnen auch den unverbindlichen Urlaubssex. In der Schweiz gibt es laut einer Erhebung des Berner Bundesamtes für Gesundheitswesen mindestens 4.000 weibliche Prostituierte. Immer mehr von ihnen verlegen ihre Arbeitsorte vor allem im Winter in die Touristenhochburgen. Nach einer Untersuchung des Zürcher Instituts für Sozial-und Präventivmedizin wächst die Zahl der flüchtigen Sexualkontakte während des Ferienaufenthaltes und damit die Gefahr der Ansteckung mit Aids.

Diese Erkenntnis hat das Bundesamt für Gesundheitswesen in Bern zu unkonventionellen und in Europas Ferienländern bislang einmaligen Maßnahmen bei der Safer-Sex-Aufklärung veranlaßt. In einer Gemeinschaftsaktion mit der eidgenössischen Aids-Hilfe schickt das Bundesamt als Beratungszentren ausgerüstete Stop-Aids-Busse in die Wintersportzentren. Sie postieren sich dort vor Diskotheken und anderen beliebten Treffpunkten. Bunte aufgeblasene Präservative und Aufklärungsschriften sollen Einheimische und Gäste zur Vorsicht und zum Gebrauch des Kondoms mahnen. Mit Stop-Aids-Aufnähern uniformierte Sexaufklärer mischen sich tagsüber unter die Touristen auf den Skipisten und in den Bergrestaurants, nachts tummeln sie sich im Après-Ski der Bars und Diskos. Sie werben für Safer Sex und verteilen kostenlos Kondome. In zahlreichen Diskos werden zwischen den heute üblichen Videoclips auch die Aufklärungsspots der Schweizer Aids-Hilfe vorgeführt.

Nach Auskunft des für diese Kampagne Verantwortlichen beim Berner Gesundheitsamt, Dr. Bertino Somaini, ist die Reaktion der Touristen bislang durchweg positiv. Allerhöchstens verweigere ab und an ein Nachtklubbesitzer den Leuten von der Aids-Aufklärungskampagne den Zutritt zu seinem Etablissement. Die Behauptung, Touristen wollten in ihren Ferien nicht mit problematischen Themen wie Aids behelligt werden, hat sich laut Somaini bereits als falsch erwiesen. Auf entsprechende Vorurteile stößt der ideenreiche Berner Gesundheitsbürokrat allerdings bei den großen Reise- und Touristikveranstaltern. So hat er sowohl den Schweizer Unternehmen wie auch der deutschen Neckermann den Vorschlag gemacht, die Animateure in Ferienklubs zusätzlich als Safer- Sex-Aufklärer auszubilden. Bislang vergeblich. Auch das Berner Bundesgesundheitsamt hat bislang keine allzu offenen Ohren für seine Ideen in den entsprechenden Regierungsstellen der Mittelmeerländer, Österreichs oder auch in Bonn gefunden. Überall in den europäischen Staaten seien die Maßnahmen zur Aids-Prävention noch zu ausschließlich auf die jeweilige eigene Bevölkerung ausgerichtet, das Thema „Tourismus und Sex“ werde bislang vernachlässigt, kritisiert Somaini. Er hält gemeinsame länderübergreifende Kampagnen für unerläßlich, um die weitere Aids-Ausbreitung zu verhindern, und nennt als besonderes Problemgebiet die von vielen europäischen Touristen besuchte Insel Ibiza.

Vor der Reise in malariagefährdete Gebiete dieser Erde erhalten Touristen Beratung und eine Vorsorgebehandlung — warum, so fragt der Berner Arzt, sollten Reisenden nicht künftig vor Ferienantritt auch Kondome und Safer-Sex-Aufklärung angeboten werden?

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