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Das Land, das Obelix nie entdeckte

Dänemarks Schweinefleisch geht zu 80 Prozent in den Export/ Der japanische Markt bricht den Borstenzüchtern weg — da kommt ihnen die Seuche in den europäischen Nachbarländern gerade recht  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Kalte Luft und schwingende Schweinehälften — das ist der erste Eindruck hinter der Flügeltür aus milchigem Kunststoff. Schwein auf Schwein hängt bei fünf Grad Celsius zweigeteilt an den Haken und fährt, von unsichtbaren Minisendern gesteuert, die langen Gänge von der Schlachtung zur Verarbeitung. Auf einem der Flure kommt uns ein Tierarzt auf einem grünen Fahrrad entgegen. Im dänischen Ringsted steht, 500 Meter lang und 150 Meter breit, der größte Schlachthauskomplex Westeuropas. 45 staatliche Veterinäre inspizieren täglich 6.600 Schweine in der Schlachtfabrik.

Welcome in Denmark — „Schweineland“. Hier leben doppelt soviel Schweine wie Menschen. Seine BewohnerInnen, vom Säugling bis ins hohe Alter, verzehren im Jahr 69 Kilo vom Borstenvieh, rund 10 Kilo mehr als die südlichen Nachbarn. Doch Meister sind die Dänen vor allem im Schweinefleischexport. Für 18 Milliarden Kronen, rund 5,5 Milliarden Mark, setzten die dänischen Schweine-Bauern im vergangenen Jahr 80 Prozent ihrer tierischen Produktion im Ausland ab — 900.000 Tonnen sind es insgesamt. Hauptmärkte waren bis 1989 Großbritannien und Japan. 1990 ist der Absatz in Deutschland auf 134.000 Tonnen hochgeschnellt — Platz zwei der Exportstatistik, der Binnenmarkt wirft seine Schatten voraus. Doch der Zwang, in Europa noch erfolgreicher zu sein, resultiert auch aus dem Verlust von Marktanteilen in Japan. Dort laufen taiwanesische Kotteletts den dänischen Rüsseltieren den Rang ab.

Der dänische Fleischexport hat Tradition — ebenso die Produktionsweise. Dänemarks Fleischindustrie gehört den Landwirten nämlich weitgehend selbst. Die Schlachtbetriebe wie „Steff Houlberg“ in Ringsted, 60 Kilometer von Kopenhagen entfernt, sowie ein Großteil der Fleischverarbeitung sind als Genossenschaften unter dem Dach von „Danske Slagterier“ zusammengeschlossen. Die einzelnen Betriebe werden von den Bauern kontrolliert, erklärt Slagterier-Sprecher Jens Hendrik Nybo. Die Schlachtfabrik in Ringsted gehört beispielsweise 5.580 LandwirtInnen. Sie stellen auch 13 der 16 Aufsichtsräte des Betriebes.

Die Fixierung auf den Export hat bestimmte Eigenheiten herausgebildet. Dazu gehört ein aggressives Marketing und die strikte Kontrolle der eigenen Fleischproduktion durch die Genossenschaften. So ist „Steff Houlberg“ massiv mit eigenen Imbiß-Wagen in die fünf neuen Bundesländer vorgestoßen.

Stolz verweisen die Dänen darauf, daß ihre Herden bisher von der mysteriösen Schweinekrankheit verschont blieben. Erfolgreich seien die eigenen Borstenviecher vom Rest Europas separiert worden, so Finn Ove Sorensen, leitender Tierarzt von Slagterier. Sein Chef Kierkegard Petersen lehnt sogar die Forschung nach der Krankheit ab, solange sie in Dänemark nicht auftrete. Ökonomisch funktioniert die Separierung nicht durch Zölle oder Abgaben, sondern über ein „nichttarifäres Handelshemmnis“: Quarantänezeiten von drei Monaten machen den Import von Lebend-Schweinen absolut unrentabel. Und Sorensen weiß, daß die strikten Kontrollen der Genossenschaft jedem Bauern bei gesundem Verstand die Lust verleiden, ausländische Tiere zu kaufen.

Auch die Restriktionen haben Tradition. In den fünfziger Jahren verhängten die Dänen über ihre mageren Landrasse-Schweine ein Ausfuhrverbot, so daß sie nicht lebend ausgeführt und im Ausland weitergezüchtet werden konnten. So sicherten sie ihren Marktanteil im Ausland, denn das relativ magere Dänenschwein hat sich gehalten: Noch heute ist es bei der Schlachtung mit 73 Kilogramm ein Leichtgewicht gegenüber deutschem Borstenvieh, das durchschnittlich 89 Kilogramm auf des Schlachthofs Waage bringt.

Die Skandale um die Schweinefleischproduktion in Deutschland wollen die Dänen für eine neue Werbeoffensive. Chloramphenicole seien in Dänemark seit über zehn Jahren verboten, Tranquilizer für den Transport auch, und Beta-Blocker habe man bisher noch nicht gefunden, verkündet Jan Andersen, der Chefchemiker des genossenschaftseigenen Dänischen Fleisch-Forschungs-Instituts (DFFI). Insbesondere die Zahl dänischer Schlachtschweine mit dem PSE-Syndrom — blasses, schwabbeliges, wäßriges Fleisch, weil die Tiere streßanfällig sind — sei nach Zuchterfolgen zurückgegangen, erklärt Kollegin Patricia Barton-Gade. Der Anteil blasser Lenden und Schinken liegt nach Angaben des Verbandes noch bei drei bis sechs Prozent.

Doch diese Erfolge und weitere Kontrollen, die Andersen ankündigt, helfen nur einem Teil der Probleme ab. Selbstkritisch gibt der Chemiker zu, daß ein Schwachpunkt beim Importfutter liegt. Auch die Dänen importieren möglicherweise mit Pflanzenschutzmitteln belastetes Soja, verfüttern tierische Fette sowie Fleisch- und Knochenmehl. Die Schweinehaltung in den Ställen werde zwar den Forderungen von Tierschützern und Konsumenten eher gerecht als vor Jahren, aber die ökologische Produktion ist auch bei den dänischen Schweinebauern nicht sehr verbreitet.

Die Industrialisierung der Landwirtschaft ist in Dänemark sogar noch weiter. Fünf Prozent aller Schweinezüchter lieferten 1990 je über 2.000 Schweine am Schlachthof ab — rund 37 Prozent aller Tiere. Die Schlachtfabrik in Ringsted ist nur die logische Fortsetzung dieser quasi-industriellen Produktion. Die Bewertung der toten Tiere erfolgt inzwischen im computerisierten „Classification Center“ mit papiernem Kontrollausdruck für den Landwirt — alles zum Wohl der Bilanz, der Konsumentenpreise und der Exportstatistik. Obelix allerdings, der wohl bekannteste Liebhaber von Schweinefleisch, hat nie von der Dänischen Landrasse gekostet.

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