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Filmschnitter Tod

■ Blut, Sex und Gewalt: Freundliche Auskünfte über miese kleine Filme vom New Yorker Hardcore-Kultfilmer Richard Kern

“Kein Zutritt für Minderjährige“ steht auf dem Programm. Das wundert niemanden im Lagerhaus Schildstraße. Richard Kern, 35, amerikanischer Underground-Regisseur, hatte am Samstag, auf Einladung von Kommunalkino und KIOTO, ein dreistündiges Super-Acht-Filmprogramm mitgebracht. Kern macht miese kleine Streifen über Sex & Violence. Ich bin besessen, sagt er im Interview, das stimmt. Schöne Frauen machen mich an. Ich möchte die Sinne des Publikums überfrachten. Mein Rezept heißt mehr und mehr und...

Herr Kern aus West Village, N.Y., ist ein hornbebrillter Mann mit kurzem Haar und einem freundlichen Blick. Immer bereit, einen breit anzulachen. Ha, Ha, Ha. Nein, Film habe ich nicht studiert, früher machte ich Skulpturen und habe extrem viel fotografiert.

„Manhattan Love Suicide“: Wir sehen einen junger Mann, wie er einem anderen in dessen Wohnung folgt. Dort mastubiert er und zuckt und verkrampft so sehr, daß ihm ein Arm und ein Bein abfallen. Blut spritzt. „So geht es also in New York, wenn sich ein Schwuler unglücklich verliebt“, sagt jemand im dunklen Saal. Gleich danach wird es härter. In „Woman at the Wheels“ schneidet sich eine junge Frau in der Badewanne die Pulsadern auf. Kurz nach ihrem Tod dringt ein Mann in ihre Wohnung ein, entkleidet sich und ejakuliert in den Mund der Toten. Ich liebe es, sagt

„Ich liebe es, wenn die Leute rausgehn müssen“: Richard Kern, Super-8-Verfilmer von Gräßlichkeiten.Foto: Tristan Vankann

Kern, wenn das Publikum genug hat und die Vorstellung verläßt. Ich will kontroverse Filme machen. Emotionen gibt es in meinen Arbeiten nicht, außer Aggression. Wenn ich mal einen Film machen wollte, in dem jemand „Ich liebe Dich“ sagte, bräuchte ich ja einen vernünftigen Ton. Ich

hierhin bitte den

von unten gesehenen

Mann in engem

Raum

kann aber nur Low-Budget-Filme machen, so um 2.000 Dollar.

Kerns Tonspuren sind schrille Klangkollagen. Stimmen aus dem Off vermischen sich mit oft infernalischen Gitarren- und Rhythmustracks von Lydia Lunch, Henry Rollins, Nick Zedd, Sonic Youth oder Foetus. Oft überneh

men MusikerInnen auch Rollen. Kerns Arbeiten, die meisten in Schwarzweiß, sind von schlechter technischer Qualität. Will er das überhaupt ändern, vorausgesetzt, er hätte mehr Geld? Manchmal denke ich, ja schon, aber meistens nicht.

Ein Vierer-Block mit Kerns

neuesten Produktionen, jede zwischen einer und fünf Minuten lang, zeigt jeweils kitschig bunte Studien junger Frauen, die sich zur Musik ausziehen und sich dann in wiederkehrenden Posen winden. „Catholic“ oder „Nazi“ heißen diese Kurzfilme, und so langsam bröckelt das Publikum im Lagerhaus ab. „Das mach ich Dir doch an einem Sonntagnachmittag mit 'nem Model und spiel 'ne Platte dazu“, sagt einer. Die Filme habe ich an vier Nachmittagen innerhalb einer Woche gedreht. Die Go-Go-Tänzerinnen und Sex-Workers schaue ich mir vorher an, überlege, was sie gut darstellen können, und dann frage ich sie. Die wollen natürlich alle gern in einem Film mitmachen. Ich will aber, daß sie den ganzen Weg mit mir gehen und nicht bei einem bestimmten Punkt abspringen. Seit einiger Zeit gibt es eine große Anzahl junger Frauen in der Sex-Industrie, für die es die einzige Chance zu sein scheint, gutes Geld zu verdienen.

Die meisten Frauen haben die Vorstellung vorzeitig verlassen. Auf der Leinwand wechseln Prügelszenen mit Todesfolge (gedreht in einer illegalen Abtreibungsklinik) mit erzwungenen Fellatii und bluttriefenden Selbstverstümmelungen. Was soll mir schon im Kopf herum gehen, wenn da zwei bumsen?. Die tun ja nur so, bis auf zwei Fälle. Das macht mich nicht an, ich wollte, es wäre so. Nein, Frauen sehe ich nicht als Opfer der Männer. Männer sind auch Opfer. In meiner Umgebung gibt es so viele aggressive Frauen, die scheißen auf die Männer. So ist eben New York, da gibt's jede Menge mieser Leute, Drogis, Misfits, Drop-Outs. Nein, wie Frauen wirklich sind, weiß ich nicht, darüber habe ich nicht richtig nachgedacht. Jürgen Francke

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