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Eine Frage der Demokratie

■ Betr.: "Des Einheitskanzlers letzter Akt", taz vom 24.4.91

betr.: „Des Einheitskanzlers letzter Akt“, taz vom 24.4.91

Die Art der Entscheidungsfindung bei der Frage des Regierungssitzes verdeutlicht nur einmal mehr, wie schlecht es um die demokratische Kultur unseres „Vaterlandes“ bestellt ist und wie nötig demokratische Verfassungsreformen sind. Da werden in der Diskussion alle möglichen Argumente sowie Verhaltensweisen auch taktischer Art hörbar und sichtbar, nur die Meinung der Bevölkerung scheint dabei offensichtlich überhaupt keine Rolle zu spielen:

1.Wie wär's, wenn die Damen und Herren Abgeordneten sich mal auf die Socken machten, in die Provinz reisten und dort für ihren Wahlkreis ein Meinungsbild erstellten und sich diesem gemäß bei der Abstimmung verhielten? Nur so könnten sie übrigens den Vorwurf entkräften, sie handelten doch nur nach eigenem Gutdünken. Aber Bürgernähe ist ja schließlich nur vor der Wahl gefragt in unserer verinstitutionalisierten „Demokratie“.

2.Die Diskussion um den Regierungssitz verdeutlicht auf schlaglichtartige Weise, wie notwendig die Integration plebiszitärer Elemente in das neue Grundgesetz ist. Nur eine Volksabstimmung könnte der Entscheidung zu einer ihrer Tragweite angemessenen demokratischen Legitimation verhelfen. Wie immer sich der Bundestag entscheidet, er wird nicht für voll genommen werden. Entscheidet er sich für Bonn, wird es heißen, man habe egoistischen Interessen (der nahe Wohnsitz etc.) den Vorrang gegeben. Entscheiden sich die Abgeordneten für Berlin, wird man ihnen vorwerfen, sie pflegten großdeutsches Prestigedenken ohne Realismus und Zweckmäßigkeit.

Fazit: Beim gegenwärtigen Stand unserer demokratischen Kultur bleibt die Entscheidung über den Regierungssitz eine solche, deren tatsächliche Legitimation — nicht ihre formale — in jedem Fall in Frage gestellt wird — und zu Recht! Roland Pfeiffer,

Wachtberg-Adendorf

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