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Gemischtfühlende Gesichter

■ Bei der SPD-Anhörung zum Theatergutachten plädierte jeder für sich selbst

Das vom SPD-nahen Kultursenator Ulrich Roloff- Momin bestellte Gutachten über die zukünftige Gestaltung der Berliner Theaterlandschaft ist am Dienstag bei einer von der SPD-Fraktion veranstalteten Anhörung im Rathaus Schöneberg von Betroffenen kritisiert worden. Teilnehmer waren auch die Gutachter Ivan Nagel, Henning Rischbieter, Michael Merschmeier und Friedrich Dieckmann. Sie hatten das Gutachten als eine Grundlage für eine Veränderungsdiskussion erstellt, die seither intensiv geführt wird. Bemängelt wurde dabei, daß das Gutachten in nur sechs Wochen entstanden und in seiner Einschätzung oft oberflächlich sei.

Im Zuge der Anhörung hatten jetzt erstmals die Intendanten und Leiter der genannten Häuser, Kulturpolitiker und die Gutachter Gelegenheit, ihre Argumente unmittelbar auszutauschen. Am 27. Mai wird der Kulturausschuß über die Theaterlandschaft beraten, bevor Senator Roloff-Momin sein Statement abgeben und eine Parlamentsentscheidung getroffen wird.

Kernpunkte der Debatte waren die Zukunft der beiden Volksbühnen, einschließlich des Projektes »Theater der Nationen«, die Profilierung der Musiktheater und die Perspektive des Friedrichstadtpalastes. Als ein grundlegendes Problem bei der Neuordnung wurden die äußerst verschiedenen materiellen Bedingungen der Theater in beiden Teilen der Stadt benannt. Relativ hochsubventionierten Häusern mit Spitzengagen im Westen ständen »minderbemittelte«, vielfach technisch veraltete Theater im Osten gegenüber. Ein künstlerischer Wettbewerb der Ensembles — so der Tenor der Anhörung — werde erst möglich, wenn die Arbeitsbedingungen angeglichen sind. Dazu soll der Parlamentsbeschluß beitragen.

Hans-Gerald Otto, Intendant des Friedrichstadtpalastes, will sein Revuetheater nicht zu einem hochkommerzialisierten Touristenmagnet à la Paris oder Las Vegas verwandelt sehen. Eine »psychologische Abwicklung« befürchtete Carmen Maria Antoni, Schauspielerin am Berliner Ensemble. Das Theater fühle sich nach der Einwilligung seines Intendanten Manfred Wekwerth, einer Rücktrittsaufforderung des Senators nachzukommen, bereits ohne Kopf. Jetzt müsse »ganz schnell jemand gefunden werden, der sich mit den Brecht-Erben im Konsens befindet oder nicht«, und das Theater »an die Hand nimmt« und in die Erneuerung führt. Gutachter Dieckmann räumte ein, daß das Berliner Ensemble nur Familien- oder Staatstheater sein könne. Man brauche eine Rechtskonstruktion, die das Spielen von Brecht-Stücken möglich mache.

Auch beide Volksbühnenchefs kämpfen um den Bestand ihrer Häuser. Der Intendant der Freien Volksbühne, Hermann Treusch, plädierte dafür, das Ensemble neben einem Gastspielbetrieb zu erhalten. Er verwies darauf, daß er als Intendant in Frankfurt ähnliches erlebt habe. Das in ein Gastspieltheater umgewandelte Haus habe später doch wieder ein Ensemble erhalten. Schaubühnendirektor Jürgen Schitthelm warf dem Volksbühnenverein Versagen als Träger vor. Für das vorgeschlagene »Theater der Nationen« in der Freien Volksbühne will er ein europäisches Theaterfestival — statt des Theatertreffens.

Widerstand auch vom Generalintendanten der Deutschen Oper, Götz Friedrich. Er verwahrte sich gegen eine Zurückstufung der Mittel seines Hauses. Nagel stellte hingegen klar, daß lediglich die Deutsche Staatsoper heraufgestuft werden sollte. Friedrich kritisierte außerdem, daß der Staatsoper Aufgaben zugeschrieben würden, die bereits die Deutsche Oper wahrnehme. Es wurde jedoch versichert, daß das Ensemble an der Bismarckstraße »Nase an Nase« mit der Deutschen Staatsoper und gefolgt von der Komischen Oper auch künftig in Berlin den Ton angeben sollte. Der Intendant des Metropol-Theaters gegenüber, Seifert, sprach sich für die Erhaltung von Theater und Ensemble aus. Er wehrte sich dagegen, mit der Privatisierung seines Hauses, die Operette in Berlin sterben zu lassen.

Moniert wurde in der Anhörung der teilweise als zynisch empfundene Tonfall des Gutachtens angesichts der Tatsache, daß es um Arbeitsplätze gehe. Auch würde nicht die Entwicklung einzelner Ensembles berücksichtigt, sondern nur Pauschalurteile über »Leben und Tod« abgegeben. Statt Visionen biete die Studie lediglich Anpassung an Realitäten. Die Gutachter verteidigten im wesentlichen ihre Positionen. dpa/taz

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