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Kohls Koalitionspartner gehen auf Distanz

■ CSU will nicht „vom Niedergang der CDU mitgerissen werden“/ FDP schwört Treue und schielt zur SPD

Berlin (taz) — Helmut Kohl steht mit dem Rücken zur Wand. Zielscheibe ist einstweilen sein Statthalter als Parteivorsitzender, der CDU-Generalsekretär Volker Rühe. Denn gerade er trägt die Verantwortung „für das Bild der CDU“, so der niedersächsische CDU-Vorsitzende Josef Stock. Auch der CDU-Vorständler Alexander Graf von Schwerin attestiert seiner Partei mangelnde Bürgernähe und die Unfähigkeit, „dem Volk aufs Maul zu schauen“. Deshalb fordert der Graf: „In den Bundestag gehören mehr Arbeiter, die die Sorgen der Bürger aus eigener Erfahrung beurteilen können.“

Während in der CDU vollmundig über „personelle und programmatische Erneuerung“ palavert wird, bewarb sich der hauptsächlich als frondierender Intrigant bekannte Wahlverlierer Hans-Otto Wilhelm erfolgreich für den CDU- Fraktionsvorsitz in Mainz.

Derweil denkt Edmund Stoiber, stellvertretender CSU-Vorsitzender, laut über gelegentliches Ausscheren aus der Koalitionsdisziplin nach. Schließlich könne man ja gegen Regierungsvorlagen stimmen, „ohne sofort den Sturz des Kanzlers“ heraufzubeschwören. Daß dieser dem „Niedergang“ entgegentaumelt, scheint ausgemacht. Die uneigennützigen CSU-Freunde alter parlamentarischer Tugenden wollen mit ihrem gelockerten Abstimmungsverhalten verhindern, daß sie, so Stoiber, „vom Niedergang der CDU mitgerissen werden“. Was die CSU sich selbst zubilligt, will sie den Liberalen am liebsten verbieten. CSU-Generalsekretär Erwin Huber sieht Gespenster in die Villa Hammerschmidt einziehen, FDP-gestützt versteht sich: Entsprechend der Analyse Hubers machen sich FDP- Kreise dafür stark, „den brandenburgischen SPD-Regierungschef Manfred Stolpe zum Nachfolger von Bundespräsident Richard von Weizsäcker zu wählen“. „Die Parallelen“, analysiert der erschreckte Huber, „sind mit Händen zu greifen. 1969 signalisierte die Wahl Gustav Heinemanns das bevorstehende liberal-sozialistische Bündnis.“

Otto Graf Lambsdorff in seiner Partei als profilierter Vertreter der Stagnation und des alten Denkens respektiert und bereits mit deutlichen Rücktrittsaufforderungen bedacht, schwört wie jeder echte FDP-Politiker, daß für seine Partei eine Wende oder gar ein sogenanntes Umfallen völlig ausgeschlossen sind. Allerdings entdeckt der Oberliberale inzwischen „interessante Perspektiven“ im Denken seines SPD-Kollegen Björn Engholm. Gleichzeitig verspürt der empfindsame Graf in der Koalition „zunehmenden Verdruß“. Derweil bastelt der rheinland-pfälzische FDP-Vorsitzende Rainer Brüderle, der die Parole „Lambsdorff in den Ruhestand“ als einer der ersten halblaut geflüstert hatte, an einer neuen sozialliberalen Landesregierung. Das gelingt ihm um so leichter, als der SPD-Wahlsieger Rudolf Scharping nach dem Grünen-Parteitag in Neumünster findet: „Die Grünen haben sich als Partei und auch in ihrer Politikfähigkeit diskreditiert.“ „Dennoch“ will er „versuchen herauszufinden“, ob das in Rheinland-Pfalz „anders ist“.

Dagegen erklärt Kohl: „Ich bin motiviert wie selten zuvor in meinem Leben.“ Drei CDU-Landesverbände fordern inzwischen einen Sonderparteitag, um, wie es die Sachsen ausdrücken, „einige Grundpositionen der Partei neu zu bestimmen“. Götz Aly

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