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Ausländerrecht zwingt zur Ehe

■ Jahresbilanz der Ausländersozialdienste der AWO

Eine türkische Frau, seit 1984 mit einem in Deutschland lebenden Landsmann verheiratet, zwei Kinder, kommt 1989 nach Bremen. Diese Fünf-Jahres-Frist schreibt das Ausländergesetz vor. Solange wollte der Mann nicht warten. Er hat inzwischen eine deutsche Freundin. Ein Fall aus der Praxis von Afet Altun, Bremens einziger türkischer Anwältin. Auf einer Pressekonferenz des Ausländersozialdienstes der Arbeiterwohlfahrt (AWO) schilderte sie gestern gemeinsam mit türkischen SozialarbeiterInnen die Schwierigkeiten türkischer Frauen mit dem neuen Ausländergesetz, aber auch mit den türkischen Familentraditionen.

Eine deutsche Frau könnte sich bei einer zerrütteten Ehe scheiden lassen und notfalls von Sozialhilfe leben. Genau das führt bei einer Türkin aber zur Ausweisung. Auch das Anfang 1991 in Kraft getretene neue Ausländergesetz gesteht ihr keinen eigenen Aufenthaltsstatus zu. Ließe sie sich scheiden, müßte sie zurück in die Türkei. Sie muß die Ehe in der Bundesrepublik noch fünf Jahre aufrecht erhalten, um unabhängig vom Mann hier bleiben zu können.

Die Flucht in ein Frauenhaus ist für türkische Frauen doppelt problematisch. Afet Altun: „Die wörtliche Übersetzung von –Frauenhaus' bedeutet in der Türkei ein Haus für Prostituierte. Die Männer nutzen das, um die Frauen hier und bei ihren Familien in der Türkei zu diskreditieren.“ „Fluchthäuser für Frauen“ sind nach Aussagen von Cevahir Cansever vom Ausländersozialdienst der AWO, in der Türkei ein Novum. Erst seit kurzem gibt es zwei Fluchthäuser in Istanbul und eins in Izmir. Zur Absicherung des Unterhalts rät Altun türkischen Frauen dringend zum Abschluß eines Ehevertrages, um nicht Sozialhilfe beantragen zu müssen, denn das bleibt generell ein Ausweisungsgrund.

Mehr als 8.000 Beratungen haben die MitarbeiterInnen des AWO-Ausländersozialdienstes 1990 durchgeführt. Eine zentrale Rolle spielten dabei Familienkonflikte, entstanden aus den Emanzipationsbestrebungen der nachwachsenden Generationen. Sozialarbeiter Hakki Celik, selbst Türke der „ersten Generation“: „Die Eltern haben Angst, daß ihre Kinder aus der Tradition ausbrechen und mit Drogen und –unreinen' Mädchen in Kontakt kommen.“ Probates Gegenmittel: Die Zwangsverheiratung mit einer –reinen' Türkin aus Anatolien. Afet Altun schildert das so: „Die Eltern fahren mit ihrem Sohn im Urlaub in die Türkei. Sie nehmen ihm den Paß ab und stellen ihn vor die Alternative: entweder er heiratet ein Mädchen ihrer Wahl oder er bleibt in der Türkei.“ Spätestens, wenn die Angetraute nach Deutschland kommt, brechen die Konflikte auf. Altun hat in ihrer Anwaltspraxis in den letzten Jahren ein starkes Anwachsen dieser Zwangsehen beobachtet. Die türkischen AWO-MitarbeiterInnen versuchen, durch Gesprächskreise mit Jugendlichen, zum Beispiel an der Gesamtschule West, und durch Kontakte mit Eltern die traditionelle Hegemonie der Väter aufzuweichen. Ein schwieriges Unterfangen, so ein türkischer Berufsschullehrer: „Der größte Teil der Eltern gehört zu den türkischen Fundamentalisten. Sie lassen sich in der Moschee beraten. 90 Prozent der Jungen, die ich kenne, wollen ein Mädchen aus der Türkei heiraten.“

asp

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