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Atombomben gruben sibirischen „Atomsee“

■ Atomsprengungen östlich des Urals seit 1976 geheimgehalten/ See strahlt mit 5 Rem pro Stunde/ Ziel war die Umleitung großer Ströme nach Zentralasien/ 'Prawda‘-Chef: Atomsprengungen quasi industriell eingesetzt

Perm/Paris (afp) — Mit der unterirdischen Sprengung dreier Atombomben haben sowjetische Behörden 1976 versucht, einen künstlichen Kanal vom Karischen Meer zum Kaspischen Meer vorzubereiten. Bei den Sprengungen im Bezirk Perm am Ural, die erst in der vergangenen Woche bekannt wurden, entstand ein radioaktiver See, der seitdem riesige Mengen Strahlung in die Umgebung abgibt. Der über Jahrzehnte zur Bewässerung Zentralasiens geplante Kanalbau, zu dessen Vorbereitung die Atombomben mit insgesamt 15 Kilotonnen Sprengkraft dienen sollten, wurde erst in den achtziger Jahren zu den Akten gelegt.

Mitglieder des Umweltausschusses des Bezirkssowjets von Perm alarmierten jetzt die Weltöffentlichkeit. Die radioaktive Strahlung des Gewässers, das die Bewohner der Region „Atomsee“ nennen, schwanke nach wie vor zwischen 1,5 und fünf Rem in der Stunde, sagten die Umweltpolitiker. Zum Vergleich: In der Bundesrepublik liegen die zulässigen Höchstwerte in der Strahlenbelastung je nach menschlichem Organ zwischen 30 und 180 Millirem im Jahr. Die Atomsätze waren in 200 Metern Tiefe in einem unbewohnten Taiga-Gebiet 300 Kilometer nordöstlich von Perm, 20 Kilometer vom Dorf Krasnowitschersk entfernt, gezündet worden. Nach Angaben von Umweltschützern entstand durch die Explosion ein See von 600 Metern Länge, 400 Metern Breite und zwölf Metern Tiefe. Er sei tiefblau und ohne jegliches Leben. Nach der Explosion kam es auch zur Bildung einer radioaktiven Wolke, die vom Wind mehrere hundert Kilometer nach Nordosten getragen wurde. Mehrere Dörfer seien damals evakuiert worden, sagte ein Augenzeuge, der damals seinen Militärdienst in der Region ableistete. Das Explosionsgebiet werde immer noch vom Energieministerium überwacht, aber die Ergebnisse der Untersuchungen würden geheimgehalten. Laut Ausschußmitglied Jewgeni Jasterow ereigneten sich im Ural zwischen 1960 und 1976 13 Atomexplosionen.

Die Nutzung atomarer Sprengsätze zu zivilen Zwecken sei vor drei Jahren aufgegeben worden, bekannte Wladimir Gubarjew, Chefredakteur der 'Prawda‘, der bei mehreren Experimenten dabei war, bei einem Besuch in Paris. In den 70er Jahren gab es, so der Journalist, eine ganze Serie dieser „kontrollierten Explosionen“. In Perm sei damals versucht worden, auf diesem Wege die Fließrichtung der Flüsse des Dwina-Beckens nach Süden zur Wolga hin umzuleiten. Gubarjew will beim Überfliegen des Gebiets aber keinen „Atomsee“ gesehen haben. „Das Experiment von Perm hat keine radioaktiven Verwerfungen hervorgerufen", behauptet der Wissenschaftsjournalist. Im zentralasiatischen Buchara seien solche Atomexplosionen gezielt eingesetzt worden, um brennende Gasquellen zu löschen. 1971 sei damit auch eine brennende Ölquelle gelöscht worden. Mit Hilfe atomarer Explosionen wurden laut Gubarjew ferner die großen Gasvorkommen von Orenburg im Ural aufgegraben und Ölbohrungen vorangetrieben. Der erste derartige Test habe 1965 in Kasachstan stattgefunden, wo der Schega-See entstand, um das Wasser aus der Schneeschmelze aufzufangen. Der See dient jetzt zur Bewässerung der Schafweiden. Gubarjew gab sich immer noch von der Harmlosigkeit der Atomsprengungen überzeugt: „In dem See werden fünf bis sechs Kilo schwere Karpfen gefangen, und er wird ständig biologisch überwacht, ohne daß es Probleme gab.“ ten

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